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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Penny!« Er hatte nichts von all seinem Reichtum behalten. Jetzt bekam er Angst – vor der Armut, dem Hunger, der Kälte. Der Verzicht hatte für ihn keine Süße.
    Doch er wusste, dass er das lastende Gewicht und die bedrohenden Dinge weggeschafft hatte. Er war nicht mehr bedrückt und fühlte sich nicht mehr unfrei. Das Lösen der Ketten hatte ihn geängstigt und erschreckt, doch die Vision der Freiheit war da, um ihn zu stärken. Seine materiellen Bedürfnisse konnten den Ruf vielleicht abschwächen, töten konnten sie ihn nicht, denn er wusste, dass es etwas Unsterbliches war, das nicht untergehen konnte.
    In der Luft lag ein Hauch von Herbst, und der Wind blies kalt. Er spürte die Kälte und zitterte, er war auch hungrig – hatte vergessen, zu Abend zu essen. Das brachte ihm seine Zukunft vor Augen. Es war unglaublich, dass er alles aufgegeben hatte: das leichte Leben, den Komfort, die Wärme. Sein Körper schrie danach. Doch dann überkam ihn wieder das frohe und loslösende Gefühl der Freiheit.
    Hamer zögerte. Er war nahe an den Eingang einer U-Bahn-Station gekommen. Er hatte einen Penny in seiner Hosentasche. Ihm kam der Gedanke, zu dem Park zu fahren, wo er die herumliegenden Vagabunden beobachtet hatte – vor vierundzwanzig Tagen. Er plante seine Zukunft nach Laune. Er glaubte ernstlich, dass er jetzt wahnsinnig war. Gesunde Menschen handelten bestimmt nicht so, wie er es tat. Doch wenn es so war, dann war Wahnsinn eine wundervolle und erstaunliche Sache.
    Jetzt würde er das offene Land aufsuchen – diesen Park, es lag für ihn eine besondere Bedeutung darin, ihn mit der U-Bahn zu erreichen. Die U-Bahn verkörperte für ihn die Gräuel des Grabes, des abgeschlossenen Lebens… Er würde ihrer Gefangenschaft entsteigen, in das weite Grün und zu den Bäumen, die das bedrohende Gewicht der Häuser verbargen.
    Die Rolltreppe zog ihn schnell und unbarmherzig in die Tiefe. Die Luft war schwer und leblos. Er stand am äußersten Ende des Bahnsteigs, von der Menschenmenge so weit wie möglich entfernt. Zu seiner Linken war das Tunnelloch, durch das der Zug schlangenähnlich jeden Augenblick hervorkommen musste. Er empfand den Ort als böse. Es war niemand in seiner Nähe, nur ein mickriger junger Kerl, der auf der Bank saß und – wie es schien – betrunken und stumpfsinnig war.
    Aus der Ferne hörte man schwach das drohende Heranrollen des Zuges. Der Betrunkene erhob sich von der Bank und schwankte unsicher an Hamers Seite, wo er am Rand des Bahnsteigs stehen blieb und in den Tunnel stierte.
    Da – es geschah unglaublich schnell – verlor er das Gleichgewicht und fiel vornüber.
    Hunderte Gedanken huschten gleichzeitig durch Hamers Kopf. Er sah das formlose Lumpenbündel, das vom Autobus überfahren worden war, und hörte eine heisere Stimme sagen:
    »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Mann. Sie hätten es doch nicht verhindern können.« Gleichzeitig kam die Erkenntnis, dass dieses Leben nur gerettet werden konnte, wenn er es selbst rettete. Das schoss mit blitzartiger Geschwindigkeit durch seinen Kopf. Er nahm eine kristallklare, ruhige Gewissheit seiner Gedanken wahr. Ihm blieb weniger als eine Sekunde, sich zu entscheiden. In diesem Moment wusste er, dass seine Angst vor dem Tode unvermindert groß war. Er hatte entsetzliche Angst. Außerdem – war seine Hoffnung vergebens? Ein sinnloses Wegwerfen zweier Leben gleichzeitig.
    Zum Entsetzen der Zuschauer am anderen Ende des Bahnsteigs lag keine Atempause zwischen dem Fall des jungen Burschen und dem folgenden Sprung des Mannes, und gleichzeitig bog der Zug, aus der Kurve des Tunnels kommend – machtlos, noch rechtzeitig zu bremsen –, ins Licht des U-Bahnhofs ein.
    Schnell riss Hamer den Jungen mit seinen Armen hoch. Kein natürlicher Impuls der Tapferkeit trieb ihn. Sein zitterndes Fleisch gehorchte dem Befehl eines fremden Geistes, der ein Opfer forderte. Mit letzter Kraft schleuderte Hamer den Burschen nach oben auf den Bahnsteig, während er selbst fiel…
    Dann starb plötzlich seine Angst. Die materielle Welt hielt ihn nicht länger fest. Hamer war von seinen Fesseln befreit. Er vermeinte noch einen Moment lang das fröhliche Flöten des Pan zu hören. Dann war – alles andere überdröhnend – das frohe Rauschen unzähliger Flügel, ihn einhüllend und umkreisend, da.

Die letzte Sitzung
     
    R aoul Daubreuil überquerte die Seine und summte eine kleine Melodie vor sich hin. Er war ein gut aussehender junger Franzose von ungefähr

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