Der Hund im Kuehlschrank
drei Minuten in dieser Pose. Es war erstaunlich, was in dieser Zeit im Publikum geschah: Zunächst verblüfftes Schweigen. Dann leises Gelächter. Dann Ruhe. Dann vereinzeltes Gemurmel. Unbehagliches Hüsteln. Hier und da empörtes Aufstöhnen.
Worte des Unwillens. Wieder Gelächter, diesmal lauter und ein wenig aggressiv. Dann Unruhe. Als Lutz Görner den Mund wieder öffnete und das Gernhardt-Gedicht mit einigen schnell gesprochenen Versen beendete, war nicht nur Erleichterung zu spüren; im Raum waren auch jede Menge Geschichten lebendig geworden. Es summte und brummte geradezu von Gefühlen und innerer Bewegung. Und ich bin sicher, wäre das Programm nach dieser »Nummer« in eine Pause gegangen, es hätten sich im Publikum lebhafte Gespräche entsponnen. Wir sollten auch im Alltag ab und zu einfach einmal drei Minuten stumm bleiben!
Die Kraft des Wassers Eine Geschichte über das Schweigen
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die sich unaufhörlich stritten. Kurz nach der Hochzeit begannen die Wortwechsel und wollten einfach kein Ende nehmen. Da klagte die Frau eines Tages einer Freundin ihr Leid. Diese wusste Rat: »Geh zum weisen Alten auf dem Berg, der kennt für jedes Problem eine Lösung.«
Die Frau machte sich sogleich auf den Weg. Und tatsächlich: Der weise Alte nickte wissend mit dem Kopf, als er von den Sorgen der Frau hörte. Dann holte er ein kleines Fläschchen aus einem alten Schrank, füllte es mit Wasser, gab es der Frau und sprach zu ihr: »Bei jedem Streit mit deinem Mann nimm einen Schluck davon in den Mund, aber spuck es nicht aus und schluck es nicht hinunter!«
Kaum war die Frau nach Hause zurückgekehrt, begann ihr Mann wieder zu streiten. Die Frau wollte schon die gewohnten Widerworte sprechen, da erinnerte sie sich an das Fläschchen, nahm einen Schluck daraus in den Mund, spuckte das Wasser nicht aus und schluckte es auch nicht hinunter. Und während ihr Mann schimpfte, behielt die Frau das Wasser im Mund. Als der Mann merkte, dass er gar keine Antwort bekam, verstummte er schließlich. Und man erzählt sich, dass bei den beiden seither wieder Ruhe und Frieden eingekehrt ist. So viel Kraft hat das Wasser!
Klappe halten!
Pausen sind notwendig, um selbst Luft zu holen. Pausen brauchen wir aber auch, um anderen Menschen Raum zu geben, damit sich jeder auf seine Art und in seinem Tempo in eine Unterhaltung einbringen kann. Viel zu oft achten wir nicht auf den Sprechrhythmus anderer, schneiden ihnen das Wort ab und unterbrechen sie in ihrem Redefluss. Auch folgende Situation kennen Sie gewiss: In einer größeren Runde sind es oft ein oder zwei Personen, die das Gespräch bestimmen. Sie sind einfach schnell mit den Worten, haben immer gleich Argumente parat, und ihre Schlagfertigkeit ist kaum zu bremsen. Doch es gibt
auch langsamere Redner, die ihre Gedanken erst ordnen müssen und mehr Zeit brauchen, dem Gesprächsfluss zu folgen und sich einzubringen. Ein langsamer, genauer Denker und Sprecher findet nicht so leicht eine Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Gerade für ihn ist es notwendig, den Redestrom um sich herum hin und wieder zu unterbrechen. Dabei muss man aktiv für ein Stopp der Worte sorgen. Aus der Stille, die dann einkehrt, können neues Sprechen und eine andere Dynamik des Gesprächs erwachsen.
Missverständnisse kennt jeder. Besonders in näheren Beziehungen geschieht es leicht, dass sich Gesprächsfäden verknoten, sich zu straff spannen oder schlaff durchhängen. Dann fühlen wir uns verwirrt. Wir wissen nicht mehr, welchem Faden wir folgen sollen, verlieren die Orientierung, und das kann hilflos, traurig oder auch wütend machen. Wir sind in Unruhe und können keinen klaren Gedanken mehr fassen. Worte helfen an dieser Stelle nicht weiter. Letztlich ist hier ein kurzes, klares Kommando nach innen und nach außen am wirkungsvollsten: Klappe halten! Damit bringen wir das Geplapper in uns und um uns herum für einen Moment zum Schweigen. Halten wir inne. Sortieren wir in Ruhe die Fäden. Lösen wir die Knoten. Wickeln wir den Wollknäuel wieder auf. Und nehmen wir für eine Weile einen Schluck Wasser in den Mund – aber nicht ausspucken und nicht herunterschlucken . . .
Was man in der Erzählrunde lernen kann
»Wir sind Mensch geworden, als wir einen Kreis gebildet haben
und anfingen, einander zuzuhören. « [Ref 14]
(Christina Baldwin, Calling the Circle)
Was man in der Erzählrunde lernen kann
In einem Kreis herrscht auf besondere Art
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