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Der Hund kommt - Roman

Der Hund kommt - Roman

Titel: Der Hund kommt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Noestlinger
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Bett. »Wo wohnst du?«, fragte er.
    Der Kater hörte zu schluchzen auf. »Aber meine Kinder haben Angst vor Hunden«, sagte er.
    »Dieses Vorurteil werden sie schon ablegen«, sagte der Hund. »Da bin ich mir ganz sicher!« Der Hund sagte das sehr zuversichtlich, obwohl er sich gar nicht so sicher war. Bisher waren junge Katzen immer vor ihm davongelaufen.
    Der Kater wischte sich wieder über die Augen. »Ich wohne Bognergasse 7«, sagte er. »Im dritten Stock. Also eigentlich auf dem Dach oben.«
    »Gib mir den Wohnungsschlüssel«, verlangte der Hund.
    »Schlüssel hab ich leider keinen«, sagte der Kater. »Ich hab nämlich nicht so richtig gemietet, ich bin bloß eingezogen.« Der Kater versuchte ein Lächeln. »Dachbodenbesetzung nennt man das, glaube ich.«
    »Dann ist also die Dachbodentür offen?«, fragte der Hund.
    »Das nicht, lieber Hund«, sagte der Kater. »Du musst beim Gangfenster vom zweiten Stock hinaus. Da ist gleich daneben ein Küchenbalkon. Auf den springst du. Und von dort springst du in die Dachrinne, kletterst dann das Dach hoch und steigst bei der Dachluke ein. Das geht kinderleicht, sage ich dir.«
    Dem Hund verschlug es vor Schreck fast die Sprache, doch er lächelte tapfer dem Kater zu, gab ihm zum Abschied die Pfote und dachte: Irgendwie werde ich das schon schaffen!
    »Besten Dank im Voraus«, sagte der Kater gerührt. »Du bist wirklich ein grundgütiger Hund.«
    »Aber nein, das ist doch bloß eine kleine Selbstverständlichkeit«, murmelte der Hund und ging zur Tür. Er hatte es nicht gern, wenn ihn jemand lobte. Das machte ihn verlegen.
    An der Tür drehte sich der Hund noch einmal um. »Wie viele Kinder hast du eigentlich, Kater?«, fragte er.
    »Dreißig«, sagte der Kater.
    Der Hund blieb stehen. Leichenblass war er unter dem Fell geworden. »Dreißig?«, wiederholte er und hoffte inständig, sich verhört zu haben.
    »Ich hab dir ja gesagt«, erklärte der Kater. »Je fünf Kinder von sechs Katzen, das ist für einen normalen Kater in den besten Jahren der übliche Durchschnitt pro Saison. Ganz tolle Kerle bringen es angeblich sogar auf hundert Kinder im Frühjahr und hundert Kinder im Herbst!«
    Am liebsten hätte der Hund kehrtgemacht und sich wieder in sein Bett gelegt, aber ein richtiger Ehrenhund hält stets, was er versprochen hat!
    »Soll ich dir noch schnell die Namen meiner Kinder aufschreiben, damit du sie auseinander halten kannst?«, fragte der Kater.
    »Danke, nein«, sagte der Hund. Er machte die Tür auf und linste hinaus. Den Flur hinauf und hinunter linste er. Er schaute nach der Siamkatze aus.
    Der wollte er nicht begegnen.
    Die Katze würde mir nur Scherereien machen, sagte er sich. Sie würde behaupten, dass »wir« doch krank seien und auf den Hirnspezialisten warten müssen! Und dann würde sie nach den drei Ärzten schreien, und die würden mir auch wieder erklären, dass ich ins Bett zurückkehren solle! Und bis ich denen dann erklärt hätte, dass mich nichts, aber auch schon gar nichts im Krankenhaus halten könne, wäre es längst Abend, und die dreißig jungen Katzen wären vor Angst und Einsamkeit und Hunger schon halb tot!
    Die Siamkatze war nicht auf dem Flur. Nur ein alter Esel in einem getupften Schlafrock tappte auf Krücken dem Klo zu.
    »Dann auf bald«, sagte der Hund zum Kater und wieselte aus dem Zimmer, den Flur hinauf, der Treppe zu, die Treppe hinunter, durch die große Halle, an der Portiersloge vorbei, in den Krankenhausgarten hinaus.
    »Halt! Stehen bleiben«, rief der Portier hinter ihm her. Da der Hund ja bloß ein Nachthemd anhatte, war dem Portier klar, dass sich da ein Patient davonmachen wollte.
    Der Hund scherte sich nicht um den schreienden Portier. Er flitzte den Kiesweg entlang, bog in einen anderen Kiesweg ein und wieselte einer kleinen Holzhütte zu. Die Holzhütte hatte der Hund von seinem Krankenzimmer aus gesehen. Jeden Morgen hatte er durch das Fenster beobachtet, dass ein Mann in einem grauen Anzug und einem rosa Hemd zur Hütte ging, in der Hütte verschwand und ein paar Minuten später wieder aus der Hütte herauskam. Dann hatte er einen grünen Overall an und trug eine Hacke und eine Schaufel unter dem Arm.
    Der Hund sprang in die Hütte hinein. Der graue Anzug und das rosa Hemd vom Krankenhausgärtner hingen an einem Haken auf der Innenseite der Hüttentür. Der Hund schloss die Hüttentür. Er schlüpfte aus dem Nachthemd und zog das rosa Hemd an und den grauen Anzug. Den obersten Hemdknopf konnte er leider

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