Der Hund von Baskerville
Grausamkeit schließen läßt. Sie hätten an ihm ein interessantes Studienobjekt.
Er kam gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft nach Schloß Baskerville herüber, um seine Aufwartung zu machen. Schon am nächsten Morgen führte er uns zu der Stelle, wo der Sage nach der böse Hugo sein Ende gefunden haben soll. Wir wanderten mehrere Meilen über das Moor zu diesem Ort, der so unwirtlich ist, daß man die Entstehung der Sage begreifen kann. Zwischen zerklüfteten Felsen gelangten wir durch ein kurzes Tal auf einen offenen Platz, wo weißes Wollgras wuchs. In der Mitte dieses Platzes ragten zwei mächtige verwitterte Steine empor, die an ihrem oberen Ende so merkwürdig zugespitzt waren, daß sie aussahen wie die Hauer eines riesigen Raubtieres. Alles an dieser Szenerie war genauso, wie die alte Sage es beschreibt. Sir Henry war sehr interessiert und fragte Stapleton immer wieder, ob er daran glaube, daß übernatürliche Mächte sich in das Leben der Sterblichen einmischen. Zwar sprach er in leichtem Plauderton, aber offensichtlich war es ihm sehr ernst damit. Stapleton gab zurückhaltend Antwort, und man konnte leicht merken, daß er weniger sagte, als er wußte, aus Rücksicht auf die Gefühle des Baronet. Er erzählte uns von ähnlichen Fällen, wo Familien unter dem Einfluß einer bösen Macht standen und viel erlitten haben, so daß wir den Eindruck gewannen, daß er den Volksglauben in dieser Sache durchaus teilt.
Auf dem Rückweg blieben wir zum Lunch im Haus Merripit, und bei der Gelegenheit machte Sir Henry die Bekanntschaft von Miss Stapleton. Er schien sich vom ersten Augenblick an stark zu ihr hingezogen zu fühlen, und wenn mich nicht alles täuscht, beruht das Gefühl auf Gegenseitigkeit. Auf unserem Heimweg kam er immer wieder auf sie zu sprechen, und seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem wir das Geschwisterpaar nicht gesehen hätten. Heute werden sie hier dinieren, und es war davon die Rede, daß wir nächste Woche zu ihnen kommen sollen.
Man könnte meinen, daß eine solche Verbindung Stapleton hochwillkommen sein müßte, und doch habe ich mehr als einmal den Ausdruck schärfster Mißbilligung auf seinem Gesicht gesehen, wenn Sir Henry seine Schwester mit Aufmerksamkeiten überhäufte. Ohne Zweifel ist er sehr mit ihr verbunden und wäre ohne sie sehr einsam. Aber es wäre doch der Gipfel der Selbstsucht, wenn er einer so glänzenden Heirat seiner Schwester im Wege stünde! Und doch habe ich das bestimmte Gefühl, er möchte nicht, daß ihre Bekanntschaft zur Liebe reift. Mehrmals habe ich bemerkt, wie er darauf bedacht ist, jedes Alleinsein der beiden zu verhindern.Übrigens kann Ihre Anweisung, Sir Henry niemals allein ausgehen zu lassen, noch sehr lästig für diesen werden, wenn zu den übrigen Schwierigkeiten jetzt eine Liebesaffäre dazukommt. Ich werde mich bestimmt nicht sehr beliebt machen, wenn ich Ihrer Anweisung buchstabengetreu folge. Vor ein paar Tagen, um genau zu sein: am Donnerstag, war Dr. Mortimer zum Lunch hier. Er ist in Long Down bei der Aushebung eines Hünengrabes auf einen prähistorischen Schädel gestoßen, was ihn mit großer Freude erfüllt. Ich habe noch nie einen so begeisterten Menschen gesehen! Nach dem Essen besuchten uns auch die Stapletons, und auf Sir Henrys Wunsch führte uns der gute Doktor in die Taxusallee, um uns dort noch einmal genau zu erklären, wie sich alles in jener Schicksalsnacht abgespielt hat. Die Taxusallee ist ein langer, düsterer Weg, der zwischen zwei hohen, gestutzten Hecken dahinführt. Auf jeder Seite des Weges ist ein schmaler Rasenstreifen angelegt. Am äußersten Ende der Allee steht die Ruine eines alten Sommerhauses. Auf halbem Weg befindet sich die Moorpforte, wo man die Zigarrenasche des alten Herrn fand. Es ist eine weiße Holzpforte mit einer Klinke. Dahinter liegt das weite Moor. Ich dachte an die Hypothese, die Sie sich von diesem Fall gebildet hatten, und versuchte nachzuempfinden, was hier geschehen ist. Als der alte Mann dort stand, sah er etwas über das Moor auf sich zukommen, das ihm eine solche Angst einjagte, daß er von Entsetzen gepackt losrannte und lief und lief, bis er vor Schreck und Erschöpfung tot umfiel. Es war dieser lange, düstere, tunnelartige Weg, den er vor Schrecken ganz außer sich in wilder Flucht dahinstürmte. Aber was verfolgte ihn? War es ein Hirtenhund vom Moor, vor dem er davonrannte? Oder ein Geisterhund, schwarz, schweigend und ungeheuerlich? Waren da menschliche Machenschaften im
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