Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
erlauben. Schnell blickte er sich in dem Hinterhof um. Hohe Mauern aus rohen Steinen grenzten den Hof von anderen Höfen und Gärten ab, die zu den Häusern der Parallelstraße gehörten und das war im Augenblick auch die einzige Möglichkeit, zu entkommen. David zog sich gerade an einer Mauer hoch, als im ersten Stock der Boutique eine Jalousie aufgezogen wurde. Mit großer Kraftanstrengung gelang es ihm im letzten Augenblick, sich auf die Mauerkrone zu rollen und auf der anderen Seite auf den Boden fallen zu lassen. Immer wieder hörte er das leise Ploppen der durch den Schalldämpfer fast lautlosen Schüsse und die Steine auf der Mauerkrone splitterten im Kugelhagel. David presste sich im toten Winkel gegen die rauen Steine, um blitzschnell seine Möglichkeiten zu überschlagen: Flucht durch die Gärten zu den Häusern in der Parallelstraße, das war die einzige sinnvolle Möglichkeit. Wenn er erst einmal in Sicherheit war, musste er überlegen, was dieses Attentat auf ihn zu bedeuten hatte. Soviel war jedenfalls sicher: Irgendjemand musste über seine wahren Ziele Bescheid wissen, aber dieser Jemand konnte nicht aus dem Umfeld von Gurbanguly sein, denn sonst hätte man David bereits in der Villa getötet. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich darüber weitere Gedanken zu machen, jetzt musste er so schnell wie möglich verschwinden.
Gerade als er sich langsam aus der Hocke aufrichtete, um an der Mauer entlang zu den Häusern der Parallelstraße zu laufen, hörte er über sich auf der Mauer ein knirschendes Geräusch. Überrascht hob er den Kopf und sah die blonde Frau oben auf der Mauerkrone stehen. Um den Kopf hatte sie sich einen weißen Schal gewickelt, deshalb konnte er ihr Gesicht nicht erkennen. Was er jedoch sehr wohl erkennen konnte, war die großkalibrige Pistole, die sie mit beiden Händen im Anschlag hielt und deren Mündung direkt auf seinen Kopf zielte.
16. Saint-Tropez – Pension „La Solitude“
Machmud war den ganzen Weg vom Nikki Beach Club über die Hügel zurückgelaufen und lag trotz einer eiskalten Dusche vor Anspannung glühend auf seinem Bett. Die düstere Vision, die er am Straßenrand beim Strand gehabt hatte, ließ ihn nicht mehr los. Kurz bevor ihn die schwarzen Gedanken zu verschlingen drohten, schwang er sich aus dem Bett, kniete sich auf den Teppich und presste seine Stirn fest in das grobe Gewebe.
„Allah ist groß und wird mir im rechten Moment mit einem Licht den Weg weisen“, flüsterte er und trat in einen stillen Dialog mit seinem Gott. Nach einer halben Stunde stand er langsam auf und schob vorsichtig den Vorhang am Fenster ein wenig zur Seite. Die Sonne war beinahe völlig untergegangen und die Dämmerung warf bereits lange Schatten auf den Parkplatz vor der Pension.
Der Dialog mit Allah hatte ihm wieder die nötige Stärke gegeben, seine Seele war gereinigt und er hatte sein Ziel wieder klar vor Augen. Jetzt galt es, der Vision bedingungslos zu folgen und sich von Situationen, wie er sie nachmittags am Strand erlebt hatte, nicht beirren zu lassen. Fast zärtlich strich er über die scharfe Klinge seines Messers, schlug es dann mit langsamen Bewegungen wieder in das rote Samttuch ein. Seine Vision war in der Realität angekommen, denn er kannte den Namen des Mannes, den er töten musste, und er hatte in einer Zeitschrift auch sein Gesicht und sein Haus hier in Saint-Tropez gesehen.
An der Rezeption seiner Pension hatte er sich einen Plan von Saint-Tropez und den umliegenden Stränden besorgt und natürlich war auch das Anwesen des Mannes darauf verzeichnet. Mit einem schwarzen Stift kreiste Machmud das Gelände ein, fixierte den ungelenken Kreis so intensiv, dass die dicke schwarze Linie vor seinen Augen verschwamm und zu einem dunklen Fleck wurde, der alles verschluckte. Wieder sah er den kahlen Raum mit dem glänzenden Gitter, er sah das Tier müde in fleckigen Kissen versinken, zu kraftlos, um noch über die Dünen oder das Meer zu laufen, nur noch ein winziger Funke Hoffnung hielt es am Leben, aber auch diese Flamme flackerte und war bereits am Erlöschen.
Diese Vision war ein letzter Aufruf und ein Hilfeschrei. Machmud steckte den Dolch in den Bund seiner Hose und verließ sein Zimmer. Draußen auf dem Parkplatz lehnte er sich an die Kühlerhaube eines geparkten Wagens, verschränkte die Arme vor seiner Brust und hielt sein Gesicht in die untergehende Sonne. Als die letzten Strahlen hinter den Häusern verschwunden waren, machte sich Machmud auf den Weg. Langsam
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