Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
willst, solltest du zumindest Finne oder Russe sein.«
Der Bombenexperte Allan Karlsson, der Schiffsjunge Ah Ming und die unendlich dankbare Braut des Kommunistenführers verließen das Schiff im Schutze der Dunkelheit und hatten bald die Berge erreicht, in denen sich Jiang Qing schon eine geraume Weile bei den Truppen ihres Mannes aufgehalten hatte. Da die tibetanischen Nomaden in dieser Region sie kannten, hatten die Flüchtlinge keine Schwierigkeiten, satt zu werden, auch als der von Ah Ming mitgeführte Proviant aufgezehrt war. Dass die Tibeter einer hohen Repräsentantin der Volksbefreiungsarmee freundlich gesonnen waren, verstand sich von selbst. Wenn die Kommunisten den Kampf um China gewannen, würden sie Tibet nämlich umgehend seine Unabhängigkeit bestätigen, das war allgemein bekannt.
Jiang Qing schlug vor, mit Allan und Ah Ming rasch Richtung Norden weiterzuziehen und dabei einen weiten Bogen um das von der Kuomintang kontrollierte Gebiet zu machen. Nach monatelangem Fußmarsch durch die Berge würden sie schließlich Xi’an in der Shaanxi-Provinz erreichen – und dort würde Jiang Qing ihren Verlobten finden, wenn sie nicht zu lange brauchte.
Der Schiffsjunge Ah Ming war begeistert, als Jiang Qing ihm versprach, dass er künftig Mao höchstpersönlich bedienen dürfe. Tatsächlich war er heimlich Kommunist geworden, als er sah, wie sich die Soldaten der Leibwache benahmen, und so passte es ausgezeichnet, nicht nur die Seiten zu wechseln, sondern auch gleich noch die Arbeitsstelle.
Allan hingegen meinte, der kommunistische Kampf würde sicher auch ohne ihn auskommen. Er wollte lieber die Heimreise antreten, ob das für Jiang Qing in Ordnung sei?
Ja, das sei in Ordnung, aber »zu Hause« sei doch Schweden und damit schrecklich weit weg. Wie hatte Herr Karlsson sich das denn genau vorgestellt?
Allan erwiderte, dass ein Schiff oder ein Flugzeug wahrscheinlich am praktischsten wären, aber leider lagen die Weltmeere etwas ungünstig, und Flugplätze hatte er hier oben in den Bergen auch keine gesehen. Wobei er aber sowieso über keine nennenswerte Barschaft verfügte.
»Da muss ich wohl zu Fuß gehen«, schloss Allan.
* * * *
Der Dorfälteste, der die drei Flüchtlinge so großzügig aufgenommen hatte, hatte einen weit gereisten Bruder. Dieser war schon bis nach Ulan Bator im Norden und bis nach Kabul im Westen vorgedrungen. Außerdem hatte er bei einer Südostasienreise auch schon die Zehen in den Golf von Bengalen getaucht. Doch jetzt war er gerade zu Hause im Dorf. Also rief der Alte ihn zu sich und bat ihn, eine Weltkarte für Herrn Karlsson zu zeichnen, damit dieser heim nach Schweden fand. Dazu erklärte sich der Bruder bereit, und bereits am nächsten Tag hatte er seinen Auftrag erledigt.
Selbst wenn man sich den Witterungsverhältnissen entsprechend gekleidet hat, darf man es mit Fug und Recht als kühn bezeichnen, sich mit einer von Hand gezeichneten Weltkarte und einem Kompass zu einer Himalaya-Überquerung aufzumachen. Eigentlich hätte Allan auch am nördlichen Rand des Gebirges entlangwandern können, und danach nördlich am Aralsee und am Kaspischen Meer vorbei. Doch die Wirklichkeit und die handgefertigte Karte waren nicht ganz deckungsgleich. Daher verabschiedete sich Allan von Jiang Qing und Ah Ming und brach zu seinem kleinen Marsch auf, der ihn durch Tibet, über den Himalaya, durch Britisch-Indien und Afghanistan bis in den Iran führen sollte, weiter in die Türkei und dann langsam nordwärts durch Europa.
Nach zwei Monaten Fußmarsch merkte Allan, dass er einen Gebirgskamm wohl an der falschen Seite passiert hatte, was sich nur dadurch ausbügeln ließ, dass er umkehrte und noch einmal von vorne anfing. Wieder vier Monate später (diesmal auf der richtigen Seite des Gebirgskammes) fand Allan, dass die Reise einfach zu langsam ging. Auf einem Markt in einem Bergdorf feilschte er daher um den Preis eines Kamels, mit Hilfe von Zeichensprache und seinen Chinesischkenntnissen. Zu guter Letzt wurde er sich mit dem Kamelverkäufer handelseinig, aber erst, nachdem Allan ihm ausgeredet hatte, dass die Tochter des Händlers mit ins Geschäft eingehen sollte.
Tatsächlich hatte er kurz darüber nachgedacht – nicht aus Kopulationsgründen, denn derlei Triebe hatte er nicht mehr. Die waren irgendwie in Professor Lundborgs OP geblieben. Es ging ihm eher um die Gesellschaft, denn das Leben im tibetischen Hochland konnte zuweilen ganz schön einsam werden.
Doch da die Tochter nur
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