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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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einen monotonen tibeto-burmesischen Dialekt sprach, von dem Allan kein Wort verstand, dachte er sich, dass er zur intellektuellen Anregung ebenso gut mit dem Kamel reden konnte. Außerdem konnte er nicht ausschließen, dass die fragliche Tochter ihrerseits gewisse sexuelle Erwartungen hegte, wenn er sich auf dieses Arrangement einließ. Er ahnte da so etwas in ihrem Blick.
    Also folgten weitere zwei Monate Einsamkeit auf einem schwankenden Kamelrücken, bis er drei fremden Männern begegnete, die ebenfalls zu Kamel unterwegs waren. Er grüßte sie in sämtlichen Sprachen, die er mittlerweile beherrschte: Chinesisch, Spanisch, Englisch und Schwedisch. Zu seinem Glück hatte er mit einer Sprache Glück, Englisch nämlich.
    Einer der Männer fragte Allan, wer er war und wohin er wollte. Allan erwiderte, er sei Allan und auf dem Heimweg nach Schweden. Die Männer musterten ihn mit großen Augen. Ob er auf einem Kamel bis Nordeuropa reiten wollte?
    »Mit einer kurzen Unterbrechung, wenn ich das Schiff über den Öresund nehme«, erläuterte Allan.
    Was der Öresund war, wussten die drei nicht. Doch nachdem sie sich vergewissert hatten, dass Allan kein Anhänger des iranischen Schahs war, dieses britisch-amerikanischen Lakaien, boten sie ihm an, mit ihnen zu reiten.
    Die Männer erzählten, dass sie sich vor Jahren an der Universität Teheran kennengelernt hatten, wo sie gemeinsam Englisch studierten. Im Gegensatz zu den anderen Studenten in ihrem Kurs hatten sie die Sprache aber nicht gewählt, um später der englischen Krone besser dienen zu können. Stattdessen hatten sie nach dem Studium zwei Jahre in unmittelbarer Nähe der kommunistischen Inspirationsquelle Mao Tse-tung zugebracht, und jetzt waren sie auf dem Heimweg in den Iran.
    »Wir sind Marxisten«, erklärte einer von ihnen. »Wir führen unseren Kampf im Namen des internationalen Arbeiters, und in seinem Namen werden wir eine soziale Revolution im Iran und in der ganzen Welt durchsetzen. Wir werden das kapitalistische System abschaffen, wir werden eine Gesellschaft aufbauen, die auf der wirtschaftlichen und sozialen Gleichheit aller Menschen beruht. Dann können sich alle Individuen nach ihren individuellen Fähigkeiten verwirklichen, jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen .«
    »Aha«, sagte Allan. »Sagt mal, ihr habt nicht zufällig ein bisschen Schnaps für mich übrig?«
    Die Männer hatten welchen. Die Flasche kreiste eine Weile von Kamelrücken zu Kamelrücken, und schon fand Allan, dass sich seine Reise langsam doch ganz nett entwickelte.
    Elf Monate später hatten die vier Männer einander schon mindestens dreimal das Leben gerettet. Sie hatten Lawinen, Raubüberfälle, Eiseskälte und wiederholte Hungerphasen gemeinsam überstanden. Zwei Kamele waren draufgegangen, ein drittes hatten sie schlachten und aufessen müssen, und das vierte mussten sie dem afghanischen Zollbeamten überlassen, damit er sie ins Land ließ, statt sie zu verhaften.
    Allan war nie davon ausgegangen, dass es ein Leichtes sein würde, den Himalaya zu überqueren. Im Nachhinein fand er, dass er wirklich Glück gehabt hatte, sich diesen drei iranischen Kommunisten anschließen zu können, denn allein wäre es recht schwer geworden, den Sandstürmen und Überschwemmungen in den Tälern und Temperaturen von minus vierzig Grad in den Bergen zu trotzen. Im Übrigen war mit den minus vierzig Grad ohnehin nicht zu spaßen: Im Winter 1946/47 musste die Gruppe tatsächlich auf zweitausend Meter Höhe ein Lager aufschlagen, um den Frühling abzuwarten.
    Die drei Kommunisten hatten selbstverständlich auch versucht, Allan für ihren Kampf zu gewinnen, vor allem seit sie wussten, wie geschickt er im Umgang mit Dynamit und dergleichen war. Er antwortete ihnen, dass er ihnen viel Glück wünsche, aber er für seinen Teil wolle nur noch nach Hause zu seiner Hütte in Yxhult. In der Eile vergaß er völlig, dass er die Kate vor achtzehn Jahren ja eigenhändig in die Luft gesprengt hatte.
    Schließlich gaben sie ihre Bekehrungsversuche auf und begnügten sich damit, dass Allan ein guter Kamerad war, der obendrein nicht über jedes bisschen Schneefall lamentierte. Sein Ansehen in der Gruppe stieg noch weiter, als er beim Warten auf besseres Wetter in Ermangelung einer sinnvolleren Beschäftigung austüftelte, wie man Schnaps aus Ziegenmilch herstellen könnte. Die Kommunisten begriffen nicht, wie er es angestellt hatte, aber diese Milch war ganz schön hochprozentig, und

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