Der Hundertjaehrige Krieg
schon bei Crécy 1346 eingesetzt hatten, damals allerdings eher als Mittel der psychologischen Kriegführung, denn die praktische Wirkung der primitiven Geschützrohre war unerheblich. Johann dagegen arbeitete ständig an der Verbesserung dieser Waffe, setzte einen eigenen Artilleriemeister ein und kaufte 1413 bei einem PariserHändler 10.000 Pfund Pulver, Salpeter und Schwefel. Es gab demnach mittlerweile solche Handelskapazitäten für Sprengstoff und demzufolge großen, steigenden Bedarf. 1430 ließ Johanns Sohn Philipp der Gute bei der Belagerung von Compiègne 17.000 Pfund Pulver verschießen. Wie alle Armeen der Zeit existierte auch die burgundische nur im Kriegsfall und wurde in Friedenszeiten bis auf Burgbesatzungen und eine kleine Garde des Herzogs wieder aufgelöst.
Mit dem Tod Philipps des Kühnen war die burgundische Vorherrschaft am französischen Hof vorderhand zu Ende, denn während Johann Ohnefurcht noch mit der Regelung des Nachlasses seines Vaters beschäftigt war, nahm Ludwig von Orléans als Bruder des regierungsunfähigen Königs die leitende Position ein, vergab hohe Ämter an seine Leute und schrieb neue Steuern aus, mit denen er eigene Projekte finanzieren wollte. Damit verlor nicht nur der Herzog von Burgund die finanzielle Sicherung aus dem französischen Staatshaushalt, sondern mit ihm seine Hofchargen, das Verwaltungspersonal, die Aristokratie seiner Länder und viele andere. Es gab allerdings auch in der Hauptstadt eine starke burgundische Partei, die Johann ermutigte, im August 1405 mit Heeresmacht in Paris einzuziehen. Damit stand Frankreich vor dem offenen Bürgerkrieg, weil der Herzog von Orléans entschlossen war, die Stadt zurückzuerobern, und auf Vermittlungsvorschläge der Universität nicht einging. Als daraufhin unter der Pariser Bevölkerung Unruhe aufkam, verständigten sich beide Parteien am 16. Oktober auf Frieden, aber schon am 7. November hielt der berühmte Theologe Jean Gerson vor dem Königshof eine unter dem Titel
Vivat rex
denkwürdig gewordene Ansprache, in der er den Staat als organische Einheit von Fürst und Volk in gesetzlicher und gerechter Ordnung beschrieb, deren Zweck das Gemeinwohl sei. Deshalb sei der König nicht Herr des Staates, sondern Haupt eines Gesellschaftskörpers, dessen Glieder ohne Haupt ebensowenig existieren könnten wie das Haupt ohne Glieder, die auf je besondere Weise dem Ganzen dienten. Weil die gegenwärtige Realität diesem schönen Bild grob widersprach, lag die Frage nach den Gründen für die Störung der Harmonie nahe, und Gerson ließkeinen Zweifel, daß der Herzog von Orléans die Verantwortung dafür trüge.
Johann Ohnefurcht, Herzog von Burgund (1404–1419)
Südniederlande, um 1450. Antwerpen, Koninklijke Museum voor Schone Kunsten
Reden dieser Art bereiteten den Boden für einen bislang beispiellosen Vorgang, der erhebliche Konsequenzen haben sollte. Am 23. November 1407 wurde Ludwig von Orléans in Paris auf offener Straße ermordet, und zwei Tage später gab Johann Ohnefurcht vor den Herzögen von Anjou und von Berry zu, daß dies in seinem Auftrag geschehen sei. Ludwig war wenig beliebt gewesen und hatte niemals die Zuneigung der Pariser Bevölkerung gewinnen können, die zwar auch an den Abgabenforderungen Johanns Ohnefurcht Anstoß nahm, sich bisher aber eher für Burgund als für Orléans entschieden hatte. Nun aber drohte die Stimmung unter dem Eindruck des Attentats umzuschlagen, so daß der Herzog von Burgund nach Flandern auswich und dort den Ständen seine Sicht vortrug, die anschließend in Rundschreiben europaweit verbreitet wurde: Der Herzog von Orléans habe den König nicht unterstützt und damit gegen das Gemeinwohl verstoßen, so daß seine Ermordung ein Dienst an der Monarchie gewesen sei. Es folgten Verhandlungen mit dem Hof Karls VI., in denen Johann seine Tat so nachdrücklich rechtfertigte, daß er schon Ende Februar 1408 nach Paris zurückkehren konnte. Am 8. Mai trug der Universitätstheologe Jean Petit einer großen Versammlung von Mitgliedern des Königshofes, des Parlements, der Universität und der Bürgerschaft mehrere Stunden lang seine
Justification du duc de Bourgogne
vor, in der er mit vollem Einsatz der aristotelischen Logik den Nachweis zu führen suchte, daß dieses Attentat ein Tyrannenmord und damit richtig gewesen sei, denn Ludwig habe nach der Krone gestrebt und den König ermorden wollen, nachdem er ihn schon durch Hexenkünste krank gemacht hätte; die französische Monarchie
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