Der Hundertjaehrige Krieg
wurde eingehalten, bis sich seine Voraussetzungen durch einen Umsturz in England änderten. Die zunehmend unberechenbare Regierungsweise Richards II. hatte eine Opposition gestärkt, die von Heinrich Bolingbroke geführt wurde, dem Sohn Herzog Johanns von Lancaster. Als Johann im Jahre 1399 starb, zog Richard dessen Güter ein, so daß Heinrich Bolingbroke offen um sie kämpfen mußte und dabei aufs Ganze ging. Er nahm den König gefangen, ließ ihn durchein Parlament absetzen und sich selbst als neuer König Heinrich IV. bestätigen.
Mit der Herrschaft des Hauses Lancaster begannen neue Ziele des englischen Hofes den Krieg zu bestimmen. Nachdem Richard II. Anfang 1400 unter bis heute nicht geklärten Umständen in der Gefangenschaft Heinrichs IV. ums Leben gekommen war, holte der französische Hof Isabella nach Frankreich zurück, und bald darauf begannen neue Kriegshandlungen, wobei sich die Kräfte der französischen Monarchie als deutlich reduziert erwiesen. Die Ambitionen der Herzöge hatten das Land einem Territorialisierungsprozeß unterworfen, der konzentrierte Aktionen immer seltener zuließ. Die Zentralverwaltung arbeitete nirgendwo mehr unbehindert, und während der Krankheitsphasen Karls VI. steigerte sich die Rivalität der Herzöge, weil Philipp von Burgund gemeinsam mit Königin Isabeau die Bedeutung Ludwigs von Orléans im Regentschaftsrat mindern wollte. Durch geschickte Verheiratung seiner Kinder und Enkel sicherte Philipp die Grenzen der Grafschaft Burgund, mehrte Besitz- und Herrschaftsrechte in den Niederlanden und sorgte für enge Bindung an das Königshaus, damit die Verwaltung der burgundischen Länder auch den Nachkommen durch ihren Einfluß auf die Krone erleichtert werde.
Obwohl diese Handlungsweise zielstrebig und konzeptgeleitet erscheint, ist schwer zu bestimmen, von welchem Zeitpunkt an der Wille zu burgundischer Eigenstaatlichkeit die Entscheidungen lenkte, denn vieles war Reaktion auf Sachzwänge und plötzlich sich ergebende günstige Gelegenheiten. Am Ende des 14. Jahrhunderts besaß Philipp der Kühne im Süden das Herzogtum Burgund, die Grafschaften Nevers, Burgund und Charolais sowie die Vizegrafschaft Auxonne und Teile der Champagne; im Norden die Grafschaften Flandern, Rethel und Artois. Nur das Herzogtum Burgund regierte er von seiner Hauptstadt Dijon aus selbst, alle anderen Gebiete ließ er durch zuverlässige Beauftragte verwalten, beteiligte die Einwohner durch Ständeversammlungen und suchte die Einheit über Behörden herzustellen.
Am 27. April 1404 starb Philipp der Kühne und hinterließ seinem Sohn Johann, der 1396 den großen Kreuzzug gegen die Türken angeführt hatte und seither den Beinamen
Sans Peur
trug, «Ohnefurcht», ein schon wohlorganisiertes, reiches Herrschaftsgebiet. Anders als sein Vater, der nur Französisch sprach und in Flandern zeitlebens einen Dolmetscher brauchte, hatte Johann schon als Kind Flämisch gelernt und ging geschickt auf das empfindliche Sonderbewußtsein seiner nördlichen Untertanen ein. Im August 1408 schloß er im Interesse der flandrischen Wirtschaft einen Vertrag mit Heinrich IV. über den Frieden auf See nördlich der Somme-Mündung. Andererseits scheute er den Konflikt nicht, war gut auf ihn vorbereitet und hatte sich auch theoretisch mit dem Krieg beschäftigt. Der einzige erhaltene Schlachtplan des Mittelalters geht auf ihn zurück, das genau ausgearbeitete Konzept eines Aufmarsches gegen Paris. Damit entsprach er einer Zeittendenz, und ihr folgend ließ er unter dem Titel
Enseignemens et ordenances pour un seigneur qui a guerres et grans gouvernemens a faire
(«Unterrichtungen und Anweisungen für einen Herrn, der Kriege und bedeutende Regierungsgeschäfte zu führen hat») ein Lehrbuch übersetzen, das der Sohn des byzantinischen Kaisers Andronikos II. um 1327 verfaßt hatte. Johanns Heer bestand im Kern aus Adelsaufgeboten des Herzogtums und der Grafschaft Burgund sowie des Artois, verstärkt durch Verbündete aus Lothringen, der Bretagne, Frankreich und Savoyen. Flandern trat demgegenüber zurück, weil die bürgerlichen Milizen zuerst an die Verteidigung ihrer eigenen Stadt dachten und weitergehende Dienste lieber durch Geldzahlungen ablösten. Soldtruppen ergänzten das von einem Marschall befehligte und einheitlich unter dem Andreaskreuz kämpfende Heer, in dem die leichten Reiter immer größere Bedeutung erhielten, und schließlich nutzte Johann Ohnefurcht systematisch Artillerie, wie sie die Engländer
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