Der Hundertjaehrige Krieg
Verfolgung als Hochverräter. Aber auch Karl selbst mußte um sein Leben fürchten und hatte gewiß das Ende Richards II. vor Augen, der in Gefangenschaft Heinrichs IV. zu Tode gekommen war. Johann von Burgund war für seine Härte bekannt, hatte schon den Herzog von Orléans umbringen lassen, und gewiß schien es ratsam, ihm zuvorzukommen.
Vier Tage nach dem Attentat auf seinen Vater hatte der Nachfolger, Philipp der Gute, in Gent die Todesnachricht erhalten, kurz darauf rief ihn der Hof Karls VI. nach Troyes, und Heinrich V. machte ihm ein neues Bündnisangebot. Mit seinen Beratern erwog der neue Herzog von Burgund die Chancen und Risiken solcher Konstellationen: Einerseits würde die enge Bindung Burgunds an den englischen König in Frankreich kritisiertwerden und damit die Position des Thronfolgers stärken, andererseits käme mit der Anerkennung Heinrichs V. als König von Frankreich endlich der von vielen ersehnte Frieden. Die Pariser begrüßten schon ein anglo-burgundisches Vorabkommen, das zu Weihnachten 1419 die Blockade der Stadt aufhob. Heinrich V. bot Philipp dem Guten militärische Hilfe für einen Rachefeldzug gegen die Mörder seines Vaters an, während die burgundische Propaganda den französischen Thronfolger moralisch vernichten wollte und mit diesen Argumenten auch den Königshof in Troyes bearbeitete. Im März 1420 kam Philipp der Gute selbst dorthin, und im Laufe von acht Wochen entstand ein Vertragswerk, das die dynastische Ordnung Frankreichs und die europäischen Mächte tief berühren mußte: Karl VI. sollte auf Lebenszeit König bleiben und seine Tochter Katharina Heinrich V. heiraten, der damit zum Erben wurde; ab sofort, noch bevor der Erbfall eintrat und Heinrich V. zum König von Frankreich gekrönt war, durfte er in Vertretung Karls VI. als Regent Frankreichs alle Regierungsvollmachten wahrnehmen und den persönlichen Titel eines Herzogs der Normandie führen, die damit als Teil der englischen Monarchie anerkannt war. Heinrich und seine Nachkommen sollten England und Frankreich in Personalunion regieren, so daß jedes der beiden Reiche seine geltenden Rechte unversehrt behalten würde. Der französische Thronfolger Karl war wegen des Mordes am Herzog von Burgund zu ächten und zu enterben, seine jetzigen Anhänger zum Eid auf diese Vereinbarungen zu zwingen. Nachdem auch der englische König in Troyes eingetroffen war, beschwor man den Vertrag am 21. Mai 1420 in der Kathedrale.
Fünfzehn Jahre später, als der jetzt so erniedrigte Thronfolger als König Karl VII. auf der Straße des Sieges voranschritt, erstattete die Universität Bologna zum Vertrag von Troyes ein Rechtsgutachten, dessen Argumente die zahlreichen Kritiker schon 1420 vorgebracht hatten: Der kranke Karl VI. war regierungsunfähig und demnach nicht verfügungsberechtigt; man hatte das Recht des Thronfolgers mißachtet, obwohl in Frankreich die Primogenitur als einziges anerkanntes Nachfolgerecht zum Königsthron galt; seine Ankläger und Richter waren dieselbenPersonen. Wenn der Vertrag zunächst dennoch weithin akzeptiert wurde, so lag das an Friedenshoffnungen derer, die nicht unmittelbar von Einbußen an individuellen Rechten oder am Eigentum betroffen waren; auf die Dauer aber konnte das Abkommen keinen Bestand haben, weil es auf sehr persönlichen Entscheidungen der beteiligten Familien beruhte und damit von rechtlichen, politischen und mentalen Grundsätzen ausging, die sich alle in voller Auflösung befanden. Das althergebrachte dynastisch-feudale Denken hatte an Überzeugungskraft verloren und wich weitverbreitetem Zweifel am Verfügungsrecht der Herrscherhäuser über Reiche und Kronen. Doch selbst vor dem ehrwürdigen Recht der Dynastien konnte der Vertrag von Troyes nicht bestehen, denn er verstieß gegen den Grundsatz der Legitimität.
7. Die Jungfrau von Orléans
(1421–1431)
Bald nach Abschluß des Vertrages von Troyes kehrte Heinrich V. nach England zurück und durfte mit den Ergebnissen seiner Feldzüge zufrieden sein. Als Regent Frankreichs erwartete er die französische Krone, die Normandie war faktisch englisches Reichsgebiet geworden und sollte es für die nächsten Jahrzehnte bleiben; zur Sicherung ihrer Verbindung mit der Insel stationierte der König eine ständige Flotte von dreißig Kriegsschiffen im Seegebiet des Kanals.
Rasch aber flammten die Kämpfe wieder auf. Herzog Thomas von Clarence, einer der Brüder Heinrichs V., erlitt am 22. März 1421 bei Baugé im Anjou
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