Der Hypnosearzt
harten, schmerzenden Nagel.
»Das sage ich dir jetzt.« Christa sprach heftig, aber klar und präzise betonend, so als sage sie einen Text auf, den sie sich bis ins kleinste eingeprägt hatte. »Und behaupte nachher bitte nicht, es hätte etwas mit meinem Vater zu tun. Er hat mich nicht beeinflußt. Nicht im geringsten. Ich habe auch mit meinem Bruder nicht darüber gesprochen …«
»Vielleicht hast du endlich die Güte, dich etwas deutlicher …«
»Stefan, mit unserer Praxis geht es so nicht weiter. Und du weißt es.«
»Was weiß ich?«
»Daß wir … daß du sie ruinierst.«
Das also! Er holte Luft. Er würde sich nicht provozieren lassen. In ihm war auch kein Zorn, den hatte er hinter sich, eher schon eine fast schwerelose, heitere Neugierde.
»Wenn es so nicht geht – wie dann?«
»Wie bitte?«
»Wie geht es dann weiter?«
»Wir müssen die Gebiete trennen, Stefan. Klar trennen.«
»Ja, klar und sauber. Das habe ich schon mal gehört.«
Sie nickte. Sie war es losgeworden, ihr Gesicht wirkte jetzt ruhig und entspannt. Die Hände noch immer in den Taschen, ging Christa den Gang entlang, öffnete die Küchentür, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
Was für ein Text kommt nun? dachte Stefan, Sie bringt das ganze Stück durcheinander.
Er setzte sich nicht, er blieb vor ihr stehen.
»Trennen? Und wie?«
»Du wirst eine eigene Praxis in der Stadt eröffnen. Für deine Arbeit brauchst du nicht viel Platz. Es wird auch nicht allzu viel kosten. Natürlich muß die Praxis zentral gelegen sein …«
»Eine Praxis für Hypnose-Therapie?«
Sie legte den Kopf schräg und sah an ihm hoch. »Für was sonst?«
»Und du arbeitest hier weiter?«
»Nicht allein. Du brauchst dich nicht ausgebootet zu fühlen, um Himmels willen. Aber diese Lösung beendet das ganze Durcheinander – und es klärt die Kompetenzen, nicht nur für unsere Patienten, auch für dich.«
»Wie schön!«
»Grinse nicht, Stefan. Das ist nicht der geeignete Augenblick. Es geht um die Existenz der Praxis.«
»Richtig.« Er fischte in seinen Hosentaschen nach Zigaretten und fand keine. Er brauchte sie auch nicht, nicht für dieses Gespräch.
»Es geht auch um meine Existenz und mein Ansehen hier. Es ist dabei doch völlig klar, daß du auch hier in der Heinrich-Heine-Straße arbeiten wirst. Es gibt so viele Fälle, mit denen ich allein nicht zurechtkomme. Du wirst sie weiterhin betreuen. Das alles ist ja nur eine Frage der zeitlichen Organisation.«
»Ist es das?«
»Für die Ausstattung der Praxis in der Stadt habe ich auch einen gewissen Betrag zur Verfügung.«
Das war der Punkt, an dem es in Stefans Schläfen zu knistern begann, wo er Luft brauchte und verzweifelt um seine Beherrschung kämpfte: der Alte! Der Herr Professor? Woher sonst kam dieser Betrag! Christa hatte also gelogen …
»Und wenn ich den ganzen herrlichen Plan ablehne?«
»Das geht nicht. Das muß dir deine Vernunft verbieten. Das kannst du nicht …«
»So? Das kann ich nicht? Vielleicht ist es auch gar nicht mehr interessant, Christa. Ich kann nämlich etwas ganz anderes. Ich kann meinen Koffer packen und es dir allein überlassen, euer großartiges Rüttger-Konzept zu realisieren.«
»Stefan!«
»Ich kann mich in meinen Wagen setzen, zum Flughafen fahren und mir ein Ticket für irgendeine Nachtmaschine nach Frankreich kaufen. Und dort kann ich noch etwas: Ich kann eine moderne Klinik aufbauen, sie übernehmen und dem Herrn Professor Rüttger zeigen, was Hypnose-Therapie bedeutet und was sie zu leisten imstande ist. Aber senil, wie er nun mal ist, wird er es vermutlich nicht einmal begreifen.«
»Stefan, wenn du glaubst, derart anmaßend reagieren zu müssen, dann …«
»Anmaßend? – Was ich dir gerade gesagt habe, das kann ich nicht nur, ich werde es auch tun …«
Er ging zur Tür, öffnete sie und schloß sie hinter sich. Aber er fuhr nicht zum Flughafen, er fuhr ins Frankfurter Westend, wo sich das Penthouse der Lindners befand …
Zweimal bereits war Régine auf dem Katasteramt von Saint-Michel gewesen, um die Pläne einzusehen, die die Besitzverhältnisse am Col festhielten. Das erste Mal war der Plan des Grundstücks 29.001 nicht aufzufinden gewesen. Und als sie deswegen reklamierte, warf dieser Holzkopf, der sich dort wichtig machte, ein widerlicher, glatzköpfiger Hornbrillen-Typ, Régine hinaus.
Am Tag darauf war sie wieder da. Diesmal fand sich das Blatt. Das Grundstück lag versetzt unterhalb von Pascals altem Garten. Und es war
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