Der Hypnosearzt
die schon mal vor. Schreiben Sie rein: Verdacht auf Bauchhöhlenschwangerschaft.«
Das hätte er nicht sagen sollen. Es war ihm einfach so rausgerutscht, und natürlich reagierte die Patientin sofort, richtete sich auf, stöhnte, und in ihrem fieberglühenden Gesicht spiegelten zwei aufgerissene, glänzende Augen alle Angst der Welt. Aber es war nun einmal passiert. Erfahren mußte sie es sowieso. Und so fuhr Stefan fort: »Rufen Sie den Krankenwagen, Marga. Ja, es ist ein Notfall.«
»Herr Doktor …« setzte die Patientin an.
»Gleich, Frau Schürmann.«
»Steffen …«
»Dagmar! Kannst du nicht später anrufen?«
»Nein, kann ich nicht. Es geht nur vom Büro aus.«
Mit der Hand deckte er den Hörer ab. »Es wird alles gut werden, Frau Schürmann, machen Sie sich bloß keine Sorgen. Aber Sie müssen nun mal in stationäre Behandlung. Es ist besser so, glauben Sie mir.«
Er hatte ihr ein Analgetikum gegeben, aber ihm war klar, daß er damit die Schmerzen nicht in den Griff bekam. Nun tastete die Frau schon wieder ihren Bauch ab, und Stefan starrte auf die rote verarbeitete Hand auf dem weiß schimmernden, aufgeblähten, brettharten Fleisch. Sie mußte in die Frauenklinik nach Hanau. Und dort sofort auf den Tisch. Er würde Reuther anrufen, Reuther war hervorragend. Neununddreißig sechs Fieber? Nicht nur sein Instinkt, jedes Symptom sagte Stefan, daß sich das Kind im Eileiter einzunisten begann.
Im Telefonhörer knackte es. »Steffen …« Ach ja, Dagmar natürlich, sie war noch dran.
»Es ist wegen Rosi«, vernahm er. »Der Tante Frosch geht es nicht gut.«
»Ist sie krank?«
»Krank? Und wie!«
»Was heißt – und wie? War sie bei Doktor Krüger?«
»Ja. Und der Krüger sagt auch, es sei schlimm, ganz schlimm. Du mußt kommen.«
»Ich komme«, antwortete er. »Ich komme, sobald ich kann, glaub mir. Und gib der Rosi einen Kuß.«
Aber warum hatte er Hermann Krüger nicht sofort angerufen? Das war die Frage, die in den Monaten, die kommen sollten, wie ein Preßluftbohrer in Stefans Schädel wütete. Was er auch dagegenzusetzen versuchte, dieser ganze Panzer an Erklärungen und Ausflüchten taugte einen Dreck.
Es stimmte: Sie waren in dieser Zeit bis in die Nächte hinein mit Arbeit eingedeckt gewesen, und wenn es in der Praxis endlich ruhig wurde, schlangen Christa und er in der Küche noch eine Kleinigkeit zu essen hinunter und krochen ins Bett. Aber selbst das half nicht immer. Ihre Körper waren wie Blei, doch die überhitzten Nerven spielten weiter verrückt. Stefan hatte seine Methode, sich ruhigzustellen und einzuschlafen, doch meist hielt er noch Christas Kopf im Arm und wartete darauf, daß ihr Atem ruhig wurde und ihr endlich die Augen zufielen. Überarbeitung ließ sich als Entschuldigung anführen, Streß – und blieb doch nichts als eine lahme Ausrede.
Warum hatte er nicht sofort den Kollegen Krüger angerufen?
War es egoistische Ignoranz, Bequemlichkeit – oder Feigheit? Stefan konnte es sich aussuchen. Ein ganzes Jahr lang hatte er sich um Rosi kaum gekümmert. Dazu hatte er noch hingenommen, daß sie sich nicht meldete. Und selbst als Dagmars Hilferuf kam, wartete er noch drei Tage ab. Also doch Feigheit? Das Unbehagen, ja, die Angst vor Christas Reaktion, vor ihrem: »Ja, willst du mich im Ernst hier mit all den Patienten sitzenlassen, um zu deiner Tante in den Ruhrpott zu fahren?«
›Der Ruhrpott‹, auch das gehörte zu Christas Aversion gegen alles, was mit seiner Jugend zusammenhing. Sie sprach nie darüber, aber dieses Schweigen war wie eine dünne Wand aus Glas.
Endlich, am dritten Tag, war es soweit: Stefan packte den Koffer. »Ich fahre morgen nach Oberhausen, Christa. Gleich morgen früh.«
»Wegen Tante Frosch.«
»Ja. Sie ist krank.«
»Was hat sie?«
»Keine Ahnung. Dagmar konnte das nicht sagen.«
»So, Dagmar konnte das nicht sagen? Herrgott, wieso hast du dich dann nicht erkundigt? Frag doch deinen Arztfreund dort, ob es schlimm ist.«
»Es ist schlimm«, sagte er. »Ich weiß das.«
Sie hatte ihn nur angesehen. Und sie hatte ja recht: Selbst da hatte er noch nicht mit Dr. Krüger telefoniert. Aber Stefan wußte, es war schlimm, das mit Rosi.
Ein Schäferhund rannte an dem verrosteten Zaun entlang, hinter dem Kronacher seine Schrottmühlen aufgereiht hatte: Mercedes 190, Golf, Polo, Ford Fiesta, Opel Corsa. EINMALIGE ANGEBOTE – billig wie nie stand auf der schwarzen Tafel neben dem Eingang, aber das Vorhängeschloß hing an der Tür und war
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