Der Hypnosearzt
Anfang wäre etwas zu machen gewesen. Auch mit Hypnose. Gerade mit Hypnose vielleicht. Nun blieb nur eines: Rosi die schlimmsten Schmerzen zu nehmen. Oder es zumindest zu versuchen. Dabei war es doch gerade der Krebs, den man vielleicht …
Timmendorf, dachte Stefan plötzlich. Das Wort huschte wie ein Schatten durch sein Bewußtsein.
Vor fünfzehn Jahren, in der Klinik in Hamburg, hatte Stefan Bergmann zugesehen, wie bei einer ziemlich kreislauflabilen Patientin unter Hypnose eine schmerzfreie Geburt durchgeführt wurde. Es war seine erste Begegnung mit den Möglichkeiten der Hypnose-Therapie gewesen.
Der Fall war klinisch ziemlich problematisch, aber die Geburt verlief ohne Schwierigkeiten, die Frau hatte keine Schmerzen, merkte nichts. Darüber hinaus hatte der hypnotisierende Arzt ihr in Tiefenhypnose eine Amnesie, eine Erinnerungssperre, induziert. Er hatte ihr suggeriert, sie erlebe gerade einen wunderschönen Aufenthalt am Timmendorfer Strand, und als dann alles vorbei war, war eine selig strahlende Wöchnerin tatsächlich der Ansicht gewesen, sie käme aus dem Urlaub zurück – mit Baby.
Beeindruckend, o ja! Was Stefan jedoch an den Anwendungsmöglichkeiten der Hypnose-Therapie am meisten faszinierte, war die Chance, die körpereigene Abwehr, das Immunsystem hypnotisch zu aktivieren.
Er las einschlägige Bücher und begann zu experimentieren. Als er bei einem Patienten mit der Behandlung von Ekzemen Erfolg hatte, später dann bei einem anderen Patienten der Rückbildung eines hartnäckigen Beingeschwürs beinahe zusehen konnte und sich obendrein eine Warze – immerhin doch ein eingekapselter Virusherd – selbst weghypnotisierte, gab es keine Zweifel mehr.
»Ich mach ein Seminar mit. Ein Seminar in Hypnose-Therapie«, verkündete Stefan seiner verblüfften Frau. »In Salzburg«, setzte er stolz hinzu.
»So, in Salzburg? Du hast sie wohl nicht mehr alle!« Er hätte Christa genausogut eröffnen können, er beabsichtige, sich in ein Bordell einzukaufen. Hypnose! Für sie wie für den ganzen Ärzteklan der Rüttkers, aus dem sie stammte, machte Bergmann sich nicht nur lächerlich, nein, er war im Begriff, eine Art obszöner Todsünde zu begehen.
»Mag sein, daß ich spinne. Das werden wir ja sehen …«
Christas wissenschaftliches Leitbild war etwas, das Stefan längst zweifelhaft erschien: Es bestand in dem Glauben, der Mensch sei nichts anderes als ein zwar höchst komplizierter, aber bis ins letzte Detail erforschter biochemischer Mechanismus, der von einem Leitcomputer, dem zentralen Nervensystem, gesteuert werde. Bei diesem Computer allerdings mußte man bedauerlicherweise auf Überraschungen gefaßt sein, da sein Programm bei Aufregungen oder unter Streß manchmal verrückt spielte. Derartige Ausfälle wurden, damit das Bild wieder stimmte, als ›psychosomatische Phänomene‹ abgetan, ein Begriff, der sich bereits in den siebziger Jahren mehr und mehr auszuweiten begann.
Die ›Psychosomatik‹ wurde zu einer eigenen Fachrichtung – mit der Einschränkung, daß man auf der schulmedizinischen Seite nie etwas Richtiges damit anzufangen wußte, umgekehrt jedoch, wenn man nicht weiterkam, froh um diesen diagnostischen Abfallkübel war, in dem sich alles Ungeklärte entsorgen ließ.
Fast täglich hatte Stefan bei seiner Arbeit im Umgang mit Leiden und Krankheit erfahren, wie sehr die seelische Verfassung eines Menschen, seine psychische Konstitution und damit letztlich alle Erfahrungen, die er gemacht hatte, die Heilungschancen bestimmten und über den Krankheitsverlauf entschieden. Mehr noch: In der Mehrzahl der Fälle, schien es Stefan, waren es gerade die seelischen Faktoren, die ein Leiden auslösten.
Das war die Situation. Sie glich einer Sackgasse, und Stefan Bergmann suchte einen Ausweg. Was er dabei zu finden hoffte, war die Möglichkeit, dort anzusetzen, wo schon die alten Ärzte die Quelle allen Übels sahen – im ›Inneren Knoten‹, wie Demokrit sagte, in der Psyche. Bei dieser Suche stieß Stefan auf den Namen Paul Liebherr.
Professor Doktor Paul Liebherr war Österreicher und galt als einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Hypnose-Therapie, ein großer, schwergewichtiger Mann mit wirren, schütteren Locken, die ihm bis zu den Schultern reichten, ein paar dunklen, braunen sanften Augen und einer dunklen, gleichfalls sehr sanften Stimme, die oft so leise sprach, daß man sie kaum verstehen konnte.
Liebherr hatte seine Praxis in Wien, der Stadt Sigmund Freuds, doch er
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