Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
vernichtete. Aber er übertrieb´s. Er hatte einfach zu viele Wölkchen aus sich herausgeblasen und sein Inneres völlig verschlissen. Es kam, wie es kommen musste. Als die Strafe um war, und der Kerker gelüftet wurde, zog der Wind derart durch Türen und Fenster, dass es den Gardisten vom Stuhl fegte. Man sah ihn noch, wie er in der Luft herumruderte, dann entschwand er von Berlins Himmel. Der Ostwind trieb ihn nach Amerika, wo er auf einem Urwaldbaum gelandet sein soll. Seitdem weiß die Geschichtsschreibung Preußens nichts mehr von ihm zu erzählen, nur, dass seitdem die Tabaksteuer ein paarmal angehoben wurde.«
»Gut, es wird mir eine Warnung sein«, entgegnete ich und stellte erleichtert fest, dass die Wolken aus meinem Pfeifchen allmählich dünner wurden und der Kolben schließlich erkaltete.
Der Comte suchte eine Queue für mich aus, Abbé de Villers legte auf dem Grün des Billardtisches derweil eine neue Pyramide. Seine Handbewegungen waren sicher und elegant, wiesen ihn als geübten Spieler aus. Er werde mir vorlegen, meinte der Abbé. Die gelbe Kugel bereit zu legen und die Pyramide zu zerstoßen war fast eine Bewegung. Seine Schnelligkeit war inspirierend, vor mir jedoch lag nun die schwierige Aufgabe, aus der Situation das Beste herauszuholen.
Mir stieg das Blut zu Kopf, meine Hände zitterten etwas. Zuviel gedampft, meinte der Comte schadenfroh und fragte mich, ob ich die fünfzehn Kugeln bereits doppelt sähe.
»Keineswegs«, entgegnete ich, nagte aber verräterisch an meiner Unterlippe. »Ob man Billardkugeln hypnotisieren kann?«
Ich fixierte die erste Aufgabe, zielte. Die Kugel schoß nach vorn, und mein Plan, mit ihr in Taschennähe eine andere zu schneiden, ging auf. Mit gleichem Erfolg machte ich weiter: Kugel zwei und drei … ebenfalls versenkt! Die Karambolage des vierten Stoßes dagegen mißriet völlig und führte zu einem Fuchs.
»Parfaitement, Petrus. Immerhin.«
Abbé de Villers ließ dem Comte den Vortritt. Der trat seitlich ans Billard, blinzelte und spielte. Das reine Getöse! Ich fuhr zusammen, so laut war die Karambolage. Sie brachte eine Bandenberührung, ein Cross und ging in die rechte Tasche. Doch schon der zweite Stoß kickste und produzierte einen Fuchs.
»Zum Teufel, Joseph: Mir scheint, er hat dich hypnotisiert und nicht die Kugeln. Jetzt darf ich retten.«
Abbé de Villers wurde seinem selbstgestellten Anspruch gerecht. Präzise spielte er die an der Bande preß liegende Kugel, karambolierte mit Contreeffet und versenkte Nummer fünf in der Tasche. Der Comte und ich applaudierten. Es war genau die Art von Aufmunterung, die das Billardgenie Abbé de Villers brauchte.
»Voilà.«
Ein Stoß ins Doppelapproché, zwei Kugeln in die Tasche. Stoß um Stoß, Kugel um Kugel: Ich gestehe, ich konnte mich kaum eines Schauderns erwehren, so phantastisch mutete es an, diese Gestalt in Soutane Billard spielen zu sehen. Geradezu ominös liefen die Kugeln übers Grün; dabei zuzusehen war fast so, als würde ich einem Mysterium beiwohnen.
Aber die Konzentration hatte ihren Preis. Nach der letzen versenkten Kugel sank Abbé de Villers bleich in einen Sessel, rang nach Luft und war so erschöpft, dass ihm die Queue aus der Hand rutschte. Ich hob sie auf und stellte sie in den Schrank zurück, Comte de Carnoth klingelte nach Hippolyte.
»Bring mir Portwein mit zwei Eidottern, einer Prise Zucker und Salz und einem Löffel Pfeffer.«
Abbé de Villers wusste, was er wollte. Pfeffer, sagte er, hebe den Blutdruck, der Rest kräftige seine schon seit Monaten schwächelnde Muskulatur. Mir war schon bei der Begrüßung aufgefallen, dass er mir wohlwollend begegnete, jetzt, wo der Comte und ich uns ihm gegenüber setzten, bildete ich mir ein, er bringe mir fast so etwas wie Wärme entgegen. Ob er sich verstellte? Nur ein Nein konnte die Antwort sein. Abbé de Villers stand kurz vor dem Ende seines Wegs. Es war ein Zeichen praktizierter Menschenwürde, wenn die Justiz ihm erlaubt hatte, seine Arresttage im Hause eines alten Freundes zu verbringen.
»Tja, Petrus, ein Mörder bin ich nicht. Nur ein bisschen stolz und zuweilen leidenschaftlich, wie unsere Rangelei bei Philippe euch beiden Kampfhunden gezeigt haben dürfte. Vielleicht liegt´s am Champagner, den ich im Blut habe. Die de Villers hatten nämlich einst Weinbesitz bei Troyes. Mein Vater verkaufte alles und zog ins Elsaß, um sich dort auf Drängen meiner Mutter dem Tabakanbau zu widmen. Die alten freundschaftlichen
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