Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Geschäftsbeziehungen zu den de Carnoths blieben, neue zu den Oberkirchs bahnten sich an. Leider starb mein Vater in der Blüte seiner Jahre. Zum Glück war meine Mutter eine passable Geschäftsfrau. Doch nach ihrem Tod machte ich es wie mein Vater: Ich machte alles zu Geld. Besitz lag uns anscheinend nicht.«
»Offensichtlich aber das Reisen und karitative Werke. Wie die Geschichte Marie-Thérèses zeigt, die Sie 1798 in Nidwalden in der Schweiz als sogenannte Nichte adoptierten.«
»Nidwalden?« fragte der Comte amüsiert. »Nein, nicht Nidwalden. Es war …«
»Hippolyte«, sagte Abbé de Villers ungerührt zum Diener, der soeben den Stärkungstrunk in einem großen kelchförmigen Glas servierte, »hilf deinem erlauchten Herren. Du bist doch aus Genf, nicht wahr? Was verbindest du mit dem Namen Nidwalden?«
»Schweizer Aufstände, Metzeleien, Priestermorde. Adoptionen. Verzeihung, dass ich unfreiwillig erlauschte, was Monsieur Cocquéreau gerade sagte: Marie-Thérèse ist ein Schweizer Kind? Gebe Gott, dass es so ist. Es erfüllte mich mit größtem Stolz und machte wieder wett, dass der Name Rousseau meiner Nation und meiner Heimatstadt zur Unehre angerechnet werden muss.«
»Hippolyte«, rief ich, »wieso sind Sie gegen Freiheit und Gleichheit, Natürlichkeit und Herzensbildung? Warum für Gottesgnadentum, monarchischen Absolutismus und Ungleichheit?«
»Muss ich darauf antworten?« fragte Hippolyte den Comte.
»Müssen? Nein. Im übrigen bezweifle ich, dass du es könntest. Oder sollte ich etwa einen denkenden Domestiken beschäftigen? Keine Angst, Hippolyte, ich hätte nichts dagegen. Aber ist das Leben im Stande dummer Unschuld nicht schöner?«
»Das vermag ich nicht zu beurteilen, Graf«, antwortete der Diener. »Ich weiß nur eines gewiß: Freiheit und Gleichheit gibt es nur, wenn das Geld abgeschafft ist. Natürlichkeit bedeutet Hurerei, und Herzensbildung dient ja doch nur der eigenen Eitelkeit. Gottesgnadentum dagegen heisst demütige Fügung in das Realistische des Lebens, Monarchie eint die Menschen im Stolz auf ihre Nation, und Ungleichheit befördert die Anstrengung des Einzelnen.«
»Da hören Sie´s, Petrus!« rief Abbé de Villers schadenfroh. »Aus Hippolyte spricht Schweizer Bodenständigkeit. Er ist Anti-Utopist und sieht die Dinge, wie sie sind. Als die Jakobiner Juli 1790 gegen die Kirche wüteten und Mai 1794 beschlossen, das Christentum gleich ganz abzuschaffen, uns Vermögen und Titel raubten und begannen, die Glocken aus den Kirchtürmen zu entfernen – in solchen Zeiten überlebt nur, wer sich schlicht bodenständig verhält. Ich zum Beispiel tilgte meinen Namen, nannte mich fortan nur noch Abbé. Und jener Abbé eben wurde der Impresario von Marie-Thérèse. Weniger ist mehr. Weglassen macht neugierig, nicht wahr, Petrus? Machen Sie es nicht ebenso?«
Um des lieben Friedens willen stimmte ich dem Abbé zu und ließ ihn in Ruhe seinen Krafttrunk auslöffeln. Fast das gesamte Gespräch hindurch hatten er und der Comte sich angeschaut und bei meiner Aufzählung der Rousseauschen Schlagworte keine Miene verzogen. Beide kamen sie mir in diesen Augenblicken vor wie zwei Notable aus der alten Zeit, die taten, als langweilten sie sich. Allerdings entging mir nicht, dass in den Augen des Comtes der Schalk blitzte. Er hatte die Ausstrahlung, als würde er nichts ernst nehmen, weder mich, Rousseau, noch seinen Diener oder den Abbé. In der Tat war ich mir sicher, dass ihn politische Ansichten nicht tangierten. Er stand über den Lagern und Fraktionen und verabscheute es, stur für die eine oder andere Seite Partei ergreifen zu müssen.
Warum er wirklich so amüsiert tat – das erfuhr ich später. Aber da war er bereits tot und der Abbé auf dem Sterbebett.
Natürlich blieb es nicht bei Billard und Portwein mit Eidotter und Pfeffer. Will heißen, der Comte ließ durchblicken, ein kleines Abendessen vorbereitet zu haben.
»Nach dem Konzert.«
Mir wurde sofort warm ums Herz, aber wagte nicht nachzufragen, aus Furcht, enttäuscht zu werden. Comte de Carnoth jedenfalls war hervorragend gelaunt und verfiel auf die krude Idee, dem Abbé einen Assaut vorstellen zu wollen.
»Petrus ist zwar nicht standesgemäß wie wir beiden Alten, mein Lieber, doch ein Ehrenmann: Denn er hat genauso viel Dreck am Stecken wie wir beide. Vor allem ist er ein Meister des Selbstbetrugs und uns in dieser Hinsicht wirklich ebenbürtig.«
»Joseph, du tust, als hättest du das Ja-Wort in der Tasche«, fuhr
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