Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
strömte. Sie sollten es willkommen heißen, rief Tissot ihnen zu, das Pulsieren und Vibrieren annehmen und als Korrektur der verquer geratenen eigenen Magnetaura begreifen. Die Unruhe nahm zu, das Stöhnen ging bei einigen in Hecheln über, zwei Frauen begannen zu winseln.
Dann kam Tissot mit der Eisenstange.
Schon damals wusste ich, was gleich geschehen würde. Freilich hatte ich nicht für möglich gehalten, wie stark sich diese magische Geste auswirken würde. Denn dass es eine war, daran ließ Tissot keinen Zweifel, mehr noch, in diesem Augenblick riss er allen Mesmeristen die Maske vom Gesicht und entlarvte ihre Theorien als bloße Suggestionen. Ich erinnere mich genau an diesen Moment. Nie werde ich ihn vergessen, Tissots spöttischen Blick, seinen maliziös lächelnden Mund, als er die Eisenstange, das Urbild des Äskulapstabes, in den „Fluidalverstärker“ rammte.
Alle schrien sie auf. Gellend die Frauen, kehlig die Männer. Die erste Probandin begann zu schreien, als wäre ihr das Eisen leibhaftig in den Körper getrieben. Binnen weniger Augenblicke schlossen sich ihr vier weitere Frauen an, bald der erste Mann. Als rase eine Herde unsichtbarer Geister durch den Kreis, verwandelten sich die Probanden in grässlich heulende Wesen. Salvenweise durchwogte das gepfählte Fluidum seine Opfer und verwandelte es in ein groteskes, an den Extremitäten zuckenden Riesenmonstrum. Tissot herrschte das Wesen an, die Augen zu schließen, er würde jetzt den Fasshahn öffnen, um die Energien des Fluidums abfließen zu lassen.
»Sie werden sich entspannen wie die Natur nach einem Gewitter! Wer schlafen will, schlafe. Es ist ein künstlicher Schlaf, aus dem Sie erwachen werden, wenn der Fluss des auslaufenden Wassers zu Tropfen gerinnt. Aber ihr alle, meine lieben im Leid Vereinten: Ihr werdet euch dann wohl und entspannt fühlen, als wärt ihr neu geboren!«
In weiser Voraussicht hatte ich Collard nie etwas von diesem Erlebnis erzählt. Erstens hätte ich mich ihm sofort verdächtig gemacht, und zweitens hätte ich mich damit von Anfang an nur selbst gequält. Immerhin hatten mich schon die ersten Wochen hier im Hospitz ziemlich desillusioniert. Denn ob die Diagnose sich auf manischen Größenwahn belief oder Collard einen Patienten als Hysteriker einstufte, die Therapien verliefen durchweg schematisch. So verfolgte Collard die Strategie, die Hysteriker durch wochenlanges Schweigen seitens der Barmherzigen Brüder zu zermürben und den Wahn der Manischen mittels Identifikationsspielen zu verstärken - in der Hoffnung, sie würden sich auf dem Gipfel ihrer Hybris wie in einem Spiegel erkennen.
Der Rest war reine Repression: Mittelschwere Psychosen wurden im wahrsten Sinne des Wortes mit „sadistischem“ Mummenschanz destruiert, zum Beispiel, in dem sich nachts die Zellentür öffnete und der Sensenmann erschien. Schließlich das Arsenal der nackten Gewalt wie Aderlässe, kalte Duschen, Schweigestunden in der Zwangsjacke, Essensentzug …
3.
Wenige Tage nach meinem Fußtritt saß ich wieder Esquirol gegenüber. Diesmal war er ausgesprochen freundlich. Er schenkte mir ein Glas Cognac ein und erging sich dabei in einer Suada moralinsaurer, aber harmloser Scherze.
»Himmel, wer sind Sie, Monsieur Cocquéreau? Ich fürchte, Sie haben mit dem Feuer gespielt! Wollen Sie unsere Madame Bonet auf Delikatessen fixieren, weil Sie vorhaben, sich in Zukunft bei ihr zu Hause verwöhnen zu lassen? Nachher tauscht Madame ihre Depression noch gegen eine Delikatessen-Hysterie ein? Wo führt das hin? Wollen Sie ihren Mann ruinieren? Haben Sie wirklich vergessen, Sie gutherziger Mensch, dass eine gute Psychiatrie den Gesetzen des Anstands folgt und nicht den einen Wahn gegen einen anderen vertauscht? Christian Reil, Sie kennen ihn gewiß, fordert darum ja bezeichnenderweise vom Psychiater: Deine Rede sei kurz, bündig und lichtvoll. Halten Sie sich besser in Zukunft daran! Ich meine das ganz kollegial. Zum Wohl!«
»Zum Wohl, Monsieur Esquirol.«
Schweigend genossen wir den Cognac, der übrigens wirklich gut war, verglichen mit dem Gesöff, das Untersuchungsrichter Roland mir und dem Comte de Carnoth ein paar Monate später kredenzte. Vielleicht lag´s also am Cognac, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte, allerdings schien auch Esquirol keine Lust zu haben, sich auf eine Unterhaltung einzulassen. Zum Glück klopfte es bald an der Tür: Raoul, der Pfleger. Der Geruch von Kampfer und Kalklauge, den er hereintrug, war so
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