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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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alles Hokuspokus. Mir fiel ein, wie Collard Franz Anton Mesmer einmal schlicht und einfach als Cagliostro vom Bodensee disqualifizierte. Der Arzt aus Iznang, ein Zögling des Bischofs von Konstanz, hatte vor einem halben Jahrhundert die angeblich das Universum ausfüllenden Newtonschen Teilchenströme für sich entdeckt und daraus ein pseudopsychologisches, halb magisches Gedankengebräu gemixt. In den Salons der feinen Welt wurde er nicht müde, Newtons „Teilchenströme“ zu einem zwar dünnen, doch um so energiegeladeneren Fluidum umzudeuten. Dieses Fluidum nun beeinflusse gemäß den Gesetzen der Gravitation die autonome, jedem lebendigen Körper eigene animalische Magnetaura. Wenn selbige durch gleichsam dissonante Geschehnisse gestört werde und der Mensch damit am Leib und im Kopf erkranke, könne durch kenntnisreiche Lenkung des Fluidalstroms, seiner universellen Wellen und Wogen, Heilung evoziert werden.
    Mesmers theoretischer Höhenflug faszinierte besonders die Damen der gehobenen Gesellschaft. Charismatisch wie er war, brachte er es in Wien und Paris nicht nur zu Geld, sondern auch zu einer eigenen Klinik. Nichtsdestotrotz hatte er auch ein Herz für die Armen - was er zum Ausdruck brachte, indem er verschiedene Bäume neben seiner Klinik mit seinen ureigenen titanischen Magnetströmen infiltrierte. Nach Entrichtung einer geringen Schutzgebühr durfte jeder Leidende die mit der Heilkraft des Meisters geladenen Blätter berühren oder, wenn ihm dies nicht genügte, mit brünstiger Leidenschaft den Baumstamm umarmen.
    Dies war in der Tat Scharlatanerie und Verrat an aller seriöser Medizin. Aber Philipp Pinel selbst soll, wie Collard zu erzählen wusste, mit Mesmers Schüler, Geschäftspartner und dann Rivalen Charles d´Eslon, Anfang der achtziger Jahre im Hôtel de Bullion therapeutische Séancen abgehalten und damit nicht wenig Geld verdient haben. Doch in meiner Zeit als Strasbourger Landarzt hatte ich selbst einmal eine mesmerisch konzipierte Séance erlebt und dabei phänomenale Beobachtungen gemacht.
    Adrien Tissot, ein Strasbourger Kollege, hatte mir beweisen wollen, dass Mesmers Ideen, auch unabhängig von dessen Claque und Charisma, Potential besaßen. Dazu stellte er eine von dessen legendären Inszenierungen nach, allerdings, wie er mir vorher verriet, ein wenig modifiziert. Tissot präsentierte in einem sauber gefegten Heuschober ein bombastisches Holzfass, welches er mit allerlei von ihm mittels eines Stabmagneten künstlich magnetisierten Gestein gefüllt hatte. Strahlengleich ragten aus diesem mesmerschen „Fluidalverstärker“ bewegliche Metallstäbe heraus, deren Enden die Patienten auf die Problemzonen ihres Körpers richten sollten.
    Mir steht die Inszenierung noch heute vor Augen: Dutzende Schaulustige säumten die Wände des Schobers, vor dem Fackeln brannten und ein paar Feldpritschen standen. Es dämmerte, den Tag über war es schwül gewesen, am Nachmittag hatte es ein leichtes Gewitter gegeben. Die Stimmung der Probanden glich der einer verschworenen Gemeinschaft: Jeder schaute auf das Fass und hielt seinen Nachbarn bei der Hand, während Tissot jeden darauf einschwor, dass mit diesem Versuch das „Feld nachprüfbarer Wissenschaft“ betreten werde, so bizarr möglicherweise alles anmute. Tissots Stimme war ruhig, zu gleichen Teilen freundlich wie autoritär. Während er sprach, nahm er ein Seil, mit dem er den Zirkel gleichsam zu einem zweifach geschlossenen straffen Ring verband. Darauf befahl er allen, sich zu konzentrieren und ein paar Mal tief ein- und auszuatmen.
    »Ich sehe Ihnen bereits an, wie die animalische Macht des Fluidums von Ihnen Besitz ergreift. Ist es so?« Die Antwort war ein Raunen. »Aber noch ist alles Stückwerk!«, rief Tissot. »Stückwerk, wie die Steine in diesem Fass. Aber wenn ich jetzt Wasser hinzu gieße, dann werden Sie erleben, wie die kosmische Kraft des Fluidums sich verbindet und damit vervielfältigt und Ihnen dort, wo Ihre eigene magnetische Aura aus dem Lot gebracht ist, Linderung verschafft.«
    Tissot leerte einen Eimer Wasser nach dem anderen in das Fass. Mit jedem Eimer schien die Spannung der Magnetisierten zuzunehmen. Ihre Arme bebten, Atem und Seufzen wurden zusehends heftiger. Es war ungemein faszinierend zu beobachten, wie die Menschen sich gegenseitig in ihren Empfindungen ansteckten. Die ersten von ihnen begannen erleichtert zu stöhnen, als das Fluidum in gichtige Gelenke, verkaterte Glieder, nervöse Därme und gallige Mägen

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