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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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fragt, erlebt er eine zweite Überraschung. Dieser Petrus, berichtet Raoul, habe lediglich seine Taschenuhr gezogen, sie vor den Augen von Madame pendeln lassen und dann auf unnachahmliche Art begonnen, ein Menü zu beschreiben:
    »Gänseleber aus der Dordogne, von schneeweißen, mit Getreide und Rahm gemästeten Tieren, Madame. Danach taufrische Filets von der Seezunge, in Butter sautiert mit einer hellen Zitronensauce! Schmecken Sie sie? Wie Ihnen die Filets auf der Zunge zergehen, kaum dass sich Ihre Lippen geschlossen haben? Und dann erst das marinierte Lamm, Madame! Herangewachsen auf den salzigen Wiesen der Vendeé, beträufelt mit einem dunklen klaren Fond, der so einzigartig zu den provenzalischen Bohnen in Olivenöl paßt! Speisen Sie mit mir Madame! Wir feiern zusammen und lobpreisen den würzigen Camembert aus der Normandie und den edlen Blauschimmel des Roquefort! Sehnen Sie sich jetzt nicht auch nach dem Apéritif, dem Champagner? Ich führe wie Sie die Flûte zum Mund, Madame, und seufze, wie ich auch schon vorher geseufzt habe, als wir geruhten, unseren Gaumen mit einem herzhaft erdigen Burgunder zu verwöhnen.«
    »Raoul!«
    Esquirol runzelt die Stirn. Dass Raoul, ein Hüne von Pfleger mit eher bescheidener Intelligenz, sich derart minutiös an mein Menü erinnert, ist ja auch zu befremdlich! Außerdem irritiert es ihn, wie verklärt dieser vierschrötige Charakter dabei lächelt. Geradezu peinlich jedoch findet er es, dass Raoul auf einmal zu kauen und zu schmatzen beginnt.
    »Ist dir unwohl?«, fragt er nach.
    »Verzeihung, Monsieur Esquirol. Ich bildete mir gerade ein, ein Bröckchen frischgebuttertes Baguette mit Gänseleber …«
    Möglicherweise war es so. Ich kann mir gut vorstellen, dass Esquirol in diesem Augenblick mich, die Salpêtrière, Madame Bonet und die Psychiatrie an sich verflucht hat. Und da ich weiß, wie gerne Monsieur Esquirol den Tafelfreuden zuspricht, stelle ich mir noch vor, dass Raouls Menüschilderung fröhliche Urstände in Esquirols Hirn auslöste: Plötzlich hat die Nummer Zwei der Französischen Irrenärzte selbst Heißhunger auf Gänseleber, Weißbrot und Deichlämmer und ist in der Laune, ein ganzes Fass Wein auszutrinken.
    Und wie ging es weiter? Am Montagabend war ich wieder in meiner Klause in Charenton. Die Beine angezogen, die Hände im Nacken verschränkt, lag ich einem brütenden Finsterling gleich auf der Chaiselongue und stierte an die Decke, wo eine kleine Spinne an einem Faden wob. Diffuse Rachegedanken beherrschten mich, Szenen, in denen ich Chefarzt Collard Calvados ins Gesicht schüttete und ihn und Prior de Coulmier in einer der alten Keuchen ankettete, sie hypnotisierte und dann mit Regenwürmern fütterte.
    Voller Selbstmitleid haderte ich mit meiner Gabe und dem Schicksal, dass es mich nach Charenton geführt hatte. Wenn Collard und diese ganze Bagage der Barmherzigen Brüder doch nicht so borniert gewesen wären!
    Denn ich, Petrus - hatte ich Marie Bonet nun zu essen veranlaßt, oder nicht? Wer war es, der sie ohne Zwang und ohne Drohungen, allein durch Zureden und eine einfache Suggestion dazu gebracht hatte, zu sagen: „Ja, Monsieur, ich speise mit Ihnen. Denn es ist schön, Ihnen zu lauschen und dort zu sein, wohin Sie mich schicken.“
    So lauteten ihre Worte, worauf sie den Mund öffnete und sich von Pfleger Raoul füttern ließ wie ein gehorsames Kind.
    Welch ein Triumph für mich!
    Collard aber hatte mir alles madig gemacht und sich darüber aufgeregt, wie unverschämt ich sei, ihm die Entgleisungen der Barmherzigen Brüder anlasten zu wollen.
    »Verdammt! Was berechtigt Sie dazu, Petrus, ausgerechnet mir Barbarei zu unterstellen? Bin ich es, der dieses System gutheisst? Mit dem Ochsenziemer durchs Gesicht … Himmel, die Pfleger hier sind doch selbst alle verrückt! Es ist Monsieur de Coulmier, unser aller Prior, der nicht durchgreift. Was weiß ich, warum! Vielleicht verfolgt ihn nachts der Geist des Göttlichen Marquis? Aber um die Sache abzukürzen, was sind Sie plötzlich so heftig? Ist Ihnen die Geliebte weggelaufen? Oder hatten Sie eine Erscheinung?«
    »Richtig. Und diese Erscheinung heisst Marie Bonet, ist die Frau eines Pariser Metzgers und hat dieselben Augen wie meine Schwester. Ich hatte das Vergnügen, sie am Freitagabend nach Paris in die Salpêtrière zu begleiten und sie dort zu therapieren.«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben richtig gehört. Trotzdem, ich wiederhole es gern: Meine Erscheinung hieß Marie Bonet, deren

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