Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Patienten unter einen Behälter mit kaltem Wasser gesetzt, der mittels eines weiten Rohrs über ihrem Kopf entleert wurde.
Madame Bonet hatte ihre Bohnensuppe aufgegessen. Sie legte den Löffel beiseite, tupfte sich die Lippen sauber und trank einen Schluck Wein. Ich sah wieder aus dem Fenster.
Ein paar mongoloide Mädchen zogen Karotten, nicht weit von ihnen entfernt hockten drei Kretine breitbeinig neben einem Komposthaufen und strullten um die Wette. Als sie fertig waren, rissen sie sich ihre Häubchen vom Kopf und wischten sich damit ab. Ausgiebig beschnüffelten sie diese, fast so, als prüften drei Weißstickerinnen fremdes Tuch.
»Sie sind auch ein Gezeichneter«, sagte Madame Bonet plötzlich, währenddessen sie die Schüssel mit einem Kanten Brot auswischte, was aussah, als sei sie eine hungrige Magd. »Gott hat uns zusammengeführt, aber anders, als Sie jetzt vielleicht denken mögen. Ich meine lediglich, wir beide sollen voneinander lernen.«
»Das klingt spannend, Madame.«
»Es wird spannend werden, Monsieur. Sie haben mir geholfen, also werde ich auch Ihnen helfen. Denn das Engagement, mit dem Sie mir und meinem Mann beistanden, hat tiefere Gründe. Sie kennen meine Geschichte, ich aber nicht die Ihre.«
»Oh, das ist ganz einfach«, sagte ich leichthin, obwohl mein Herz unwillkürlich schneller schlug. Denn es war das erstemal, dass ein Patient mich derart ansprach. Marie Bonet indes lächelte dünn, überlegen, als ob sie wusste, dass meine tieferen Gründe sich nicht in der Geschichte meiner Wangennarbe erschöpften. Ihre Rehaugen leuchteten voller Zutrauen.
Langsam zeichnete ich die Narbe nach, die mir die rechte Wange teilte. Ein Racheakt, seufzte ich und erzählte, wie sie mir in meiner Zeit als rechte Hand meines Onkels Jean, eines Arztes und Baaders, zugefügt worden war: Ein junger Bauer hatte mich nachts mit drei Knechten überfallen. Er suchte einen Sündenbock, weil Onkel Jean seiner Frau nach und nach alle Zähne gezogen hatte.
»Und als er der gerade mal zweiundzwanzigjährigen Isabell Eschwiller auch noch die Schneidezähne entfernt hatte, sah sie plötzlich aus, als befände sich hinter ihrem Mund eine Saugglocke. Onkel Jean war nicht zu kriegen, aber ich, sein junger Assistent, der in einer Strasbourger Wirtschaft gerade seinen Liebeskummer ertränkte. Sie hieß Malika und war eine Böhmin, ich durfte ihren Bienenstich verarzten. Aber noch mehr litt Malika unter bösen Bildern. Nachts wachte sie davon auf. Ich habe ihr geraten, sich vorzustellen, wie alle bösen Bilder einen Berghang herunterrollen und zerschellen. Es habe funktioniert, begrüßte sie mich tags darauf und küsste mich stürmisch. Vier Tage dauerte das Glück, dann reiste Malika mit ihren Eltern weiter nach Lyon.«
Marie Bonet seufzte mitfühlend, erhob sich von ihrem Stuhl und umarmte mich – eine keusche flüchtige Umarmung wie die eines jungen Mädchens, das seinem alten Vater zum Geburtstag gratuliert. Mir ist sie unvergessen. Nicht nur, weil Marie und ich uns in der Folgezeit körperlich nie wieder so nah gekommen sind, sondern auch weil wir uns damit das Versprechen gaben, immer füreinander da zu sein.
Jetzt weiß ich, dass Marie Bonet mehr für mich tat als ich für sie.
Dass sie noch immer ziemlich schwach auf den Beinen war, setzte sie sich wieder. Nach einem kurzen Forschen in meinen Augen schüttete sie mir dann ihr Herz aus, als wäre ich ihr Bruder.
»Wissen Sie, zu Hause sind alle so schrecklich einfach, so diesseitig und zupackend. Die Familie meines Mannes strotzt vor Gesundheit. Sie sind lieb, gesellig, anteilnehmend. Wenn das Blut der Schlachterei auf die Straßen fließt und unter den Schritten der Passanten gerinnt, ihre Schuhsohlen färbt - es stört sie nicht. Mein Mann pfeift, wenn Kuddelreste, Hirn, Sehnen, Exkremente in die offene Gosse fließen und im Sommer Schwärme von Schmeissfliegen und Maden einen Gestank verbreiten, der mich ohnmächtig werden lässt. Nur, das Hanebüchene dabei ist: Mein Mann versteht mich! Ich bin für ihn das Zarte, das Andere. Er hegt mich, schützt mich, will mich mästen. ‚Aus dir machen wir eine von uns!‘ sagt er im Scherz, meint es aber ernst. Ach, es ist entsetzlich. Alle mögen sie mich – ihr Rehlein, wie sie mich nennen.«
»Sie lieben Ihren Mann nicht?«
»Ich achte ihn, schätze seine Aufrichtigkeit und Geduld. Es ist keine Liebe, aber welche Frau liebt schon ihren Mann? Das gibt es nur im Roman. Geheiratet hab ich ihn, weil es meinen
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