Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
depressive Störung ich mittels eines suggestiven Gesprächs vorübergehend beseitigen konnte. Und das, obwohl sie dem ersten Anschein nach durchaus zu den unbeugsamen Charakteren gehörte. Nach hiesigen Maßstäben wäre sie damit mindestens für die kalte Dusche gut.«
»Ein suggestives Gespräch also? Wie weiland bei Mesmer und Puységur? Dann wollen Sie also die Barbarei abschaffen, aber die Scharlatanerie vom animalischen Magnetismus wiederbeleben?«
»Nein!«
»Anscheinend aber doch! Wissen Sie, wie Sie gerade aussehen, Petrus? Wie ein Pensionär! Der Unterschied ist allein der, dass Sie rasiert sind und nach Farinas Eau du Cologne duften statt nach Fisch.«
Das Gespräch endete hier, und zwar, weil ich eine mir bislang verborgene Charaktereigenschaft entdeckte: den Jähzorn. Ausgerechnet ich, der Mann mit dem weichen Herzen, donnerte die Tür derart ins Schloss, dass sie gleich wieder aufsprang. Collard brüllte, er werde sich beim Prior beschweren, worauf ich mich gleich noch einmal umdrehte, um der wieder aufgesprungenen Tür einen kräftigen Fußtritt zu verpassen. Das erste Mal war ich bereit, der archaischen Einsicht zuzustimmen, nach der ein Mann Aggressionen nur durch Sex oder Gewalt abbauen könne. Tatsächlich fühlte ich mich danach angenehm entspannt und glaubte, allen kommenden Auseinandersetzungen gelassen entgegensehen zu können. Wenn Prior de Coulmier mir in diesem Moment hätte die Leviten lesen wollen, ich glaube, ich wäre imstande gewesen, Tacheles mit ihm zu reden und mir all das von der Seele zu schimpfen, was mich seit zwei Jahren an Charenton störte.
Leider hatte sich das wohlige Gefühl nach diesem Aufstand wie das Sturmklingeln einer Glocke verflüchtigt. Alle Genugtuung war dahin. Ich lag in unbequemer Haltung auf der Chaiselongue, starrte auf eine Spinne und kam zur Überzeugung, nur einen Pyrrhussieg errungen zu haben. Und das lag einzig daran, dass mich Collards Vorwurf quälte, ich sei ein Scharlatan.
Hatte er womöglich recht? Denn auch wenn ich mit meiner Menü-Suggestion Marie Bonet zum Essen gebracht und sie mir versprochen hatte, bis zu meinem nächsten Besuch wenigstens einen Teller Suppe am Tag zu sich zu nehmen – wie sicher konnte ich mir dieses Versprechens sein? Anders gefragt: Konnte ich überhaupt unter Suggestion gemachten Erfolgen vertrauen? Bestand nicht immer die Gefahr von Rückschlägen?
Genau daran war Mesmer gescheitert. Die teils konvulsivischen teils marionettenhaften Patienten-Verzückungen, die er in seinen Séancen vorgeführt hatte, standen unter Verdacht, von bezahlten Schauspielerinnen gemimt worden zu sein. Geheilt im eigentlichen Sinne hatte er nicht, sondern nur die Nerven aufgeputscht.
Marie Bonet aber aß. Ich hatte ihren Pfleger Raoul gebeten, mich unverzüglich zu unterrichten, sollte er Rückfälle beobachten. Als ich am Mittwoch noch immer keine Nachricht erhielt, wusste ich, dass meine Unsicherheit unnötig gewesen war. Dabei hätte ich mir nur vor Augen führen müssen, wie gut es mir gelang, leichtere Tobsuchtsanfälle allein durch die Kraft meiner Blicke zu bändigen. Gerade erst war es mir wieder gelungen: Bei Monsieur de Chamfort, der bereits einmal Aufnahme gefunden hatte, dann als „geheilt“ entlassen wurde, aber in Wahrheit an einem selbstzerstörerischen Nihilismus litt.
Ich erwähne diesen Fall, weil er mir erkennen half, dass unsere sogenannten verlässlichen Wahrnehmungen nur eine zähe Art Trübung unseres Bewusstseins sind. Kurz gesagt: Monsieur de Chamfort wurde von seiner Frau deshalb wieder den Barmherzigen Brüdern übergeben, weil er sich bei einem gemeinsamen Spaziergang plötzlich von ihr losmachte und zielstrebig auf eine heranrasende Postkutsche zurannte. Seine Begründung: Er wolle endlich herausfinden, ob er eigentlich noch am Leben sei oder bereits tot.
»Denn wenn die Postkutsche durch mich hindurch gerast wäre, ohne dass ich etwas gespürt oder sich etwas verändert hätte, dann hätte ich gewußt: Du bist tot. Hätte mich die Postkutsche aber getötet, wäre mir klar gewesen: Du hast gelebt. Diese Klarheit wollte ich endlich haben.«
Mein Fehler war, ihm zu schnell und zu forsch eine Antwort zu geben. Ich sagte: „Monsieur de Chamfort, Sie leben unter anderem deswegen, weil Sie Schmerz empfinden können.“ So kam er auf den Gedanken, zu toben und sich zu verletzen - um zu überprüfen, wie weit er gehen konnte.
Zurück zu Collards Vorwurf, ich sei Mesmerist. Nein, auch bei Mesmer war nicht
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