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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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nicht ein bisschen verrückt? Übten Pianisten immer so? Die Klänge, die aus dem offenen Fenster drangen, schienen mir anfangs ganz vernünftig, aber nach einer Weile kamen mir Zweifel. Denn was Marie-Thérèse da spielte, war immer nur ein und dasselbe Motiv: eine absteigende Folge dreier Akkorde. Ganz selten nur spann sie einen halben Takt fort, um dann wieder von vorne zu beginnen. Sie jagte die Akkorde durch alle Lagen, ließ sie scheppern und grollen, drohen und lächeln, spielte sie sacht, dass sie kaum mehr zu hören war, um dann plötzlich dreinzuschlagen, als bearbeite sie ihr Instrument mit Fäusten.
    Nein, dies war kein Üben. Je länger ich lauschte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass Marie-Thérèse nicht an ihrem Repertoire arbeitete, sondern sich in diese Töne einigeln, mehr noch, sich mit ihnen betäuben wollte. Der Psychiater in mir wurde wach: Welche Bedeutung hatte diese Musik? Konnte ich sie analysieren – die Musik und die Spielerin? Nach einer Weile zweifelte ich nicht mehr daran, dass hier jemand mit einem tönenden Mantra die Zeit totschlug und sich unter eine autistische Glocke flüchtete. Ich hörte so angestrengt zu, dass mir der Schweiß ausbrach. Dann, ganz plötzlich, formten sich in meinem Kopf die passenden Worte für dieses Motiv: Les adieux.
    Lebewohl.
    Depressive Künstlerlaune? Melancholische Starre? Selbstmordabsichten?
    Der Instinkt sagte mir, dass ich mit meiner Diagnose falsch lag. Nur eins schien ziemlich sicher: Wer so spielte, war nicht nur allein in einem Salon, sondern fühlte sich auch allein, mehr noch, war einsam und verzweifelt. Angespannt und voller Neugier, die Augen auf das Fenster gerichtet, schickte ich mich an, die Straße zu überqueren. Erst als mich irgend etwas seitlich in die Brust rammte, drang der Wutschrei eines Kutschers an mein Ohr. Ich stürzte aufs Pflaster, sah einen Huf, ein rollendes Eisenrad und schloss mit dem Leben ab.
    Aber es ging noch einmal gut.
    »Nichts passiert.«
    Ich klopfte mir den Dreck aus dem Rock und bedeutete dem Kutscher weiterzufahren – was der sich nicht zweimal sagen ließ. Wohl ein Dutzendmal murmelte ich das Wörtchen „Zufall“, während Marie-Thérèse spielte und ich wartete, dass sich meine Nerven wieder von dem Schreck erholten. Die Rose war hinüber. Stengel und Blätter waren zwar unversehrt, die Blüte aber zerstampft. Trotzdem hob ich sie auf.
    Ich trat ins Haus und schritt die Stufen hoch. Das Klavierspiel war im Treppenhaus kaum zu hören, so dass ich fast versucht war, zu glauben, irgend etwas zu verpassen. Ungeduldig betätigte ich den Klopfer.
    »Ich möchte …«
    »Kommen Sie! Schnell!«
    Ich erkannte Ludwigs Mädchen kaum wieder. Ihr Haar war wirr, das Gesicht aufgedunsen, die Augen übernächtigt. Die saure Wein-Fahne, die sie ausdünstete, war nicht minder widerlich wie ihre feuchte und kalte Hand. Wie eine Fessel schloss sie sich um mein Handgelenk, als befürchte sie, ich könnte wieder entwischen.
    »Wie lange spielt sie schon so?«
    »Seit sie ihn raus getragen haben.«
    »Wie bitte? Ludwig? Ich verstehe nicht …«
    »Weil von dem Mord nichts in der Zeitung steht. Baron Philippe will es nicht.«
    »Was denn?«
    »Dass der Mord … Madame! Schauen Sie, wer gekommen ist! Petrus! Der Herr Cocquéreau. «
    Das Mädchen schleuderte mich förmlich auf Marie-Thérèse zu, die sogleich ihr Spiel unterbrach und meinen Namen schrie, als brächte er allein ihr Erlösung. In einer einzigen Bewegung schnellte sie vom Schemel hoch, breitete die Arme aus und warf sich mir an die Brust. Das Mädchen schlug die Tür zu, rief Adieu.
    Dann war es still.
    Wie lang ist eine halbe Stunde? Schau halt auf die Uhr, wenn dir nichts Besseres einfällt, gab ich mir irgendwann die Antwort. Du kannst dir aber auch andere Fragen stellen! Zum Beispiel die, wie lange ein Mann und eine solch wunderschöne Frau eng umschlungen beieinander stehen können, ohne dass dem Mann die Gedanken auf Irrwege geführt werden.
    Doch nein, wie konnte es sein, dass sich mir aufmüpfige Empfindungen aufdrängten, während diese Frau hier ihren Geliebten betrauerte? Andererseits, welcher Mann wäre nicht schwach geworden, wenn sich ihm ein Weib wie dieses an die Brust geworfen hätte? Marie-Thérèse duldete nicht nur meine Hand auf ihrer Taille, sondern machte auch keinerlei Anstalten, ihren Unterleib von dem meinigen zu distanzieren. Dazu diese Hitze, die ihr Leib ausstrahlte. Der Duft ihres Haars war wie ein Aphrodisiakum - und dann,

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