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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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offener Wagen rollte heran, der von zwei Schimmeln gezogen wurde. Eine junge Schönheit hielt die Zügel. Bestimmt eine von La Belle Fontanons Schwestern, überlegte ich. Wie aufmerksamkeitsheischend und doch leidend ihre Blicke sind! Als spüre sie die Last ihrer Karriere, die sie dazu verpflichtet, sich im schmucken Cabriolet zu zeigen.
    Aus der Laune heraus hob ich den Hut und grüßte. Doch die Schöne blickte stur geradeaus, und da war ihr Wagen auch schon vorbei.
    Das nun ist gegen den comme il faut, meine Damen und Herren, nicht wahr? dachte ich und lachte dem mir entgegenkommenden Paar offen ins Gesicht. Der Graubart riss empört die Augen auf, sie, eine Häubchen-Madame mit langem Gesicht, schaute verschämt zu Boden. Es ist so banal wie amüsant: Eine einzige Geste reicht, um sich zu verraten und die Menschen für einen Augenblick zu irritieren. Für einige Minuten werden sie sich jetzt das Maul zerreißen und hinterher zum Schluß kommen, dass es degoutant sei, derart offensichtlich im offenen Wagen umeinander zu fahren und die Verehrer zum Grüßen zu provozieren!
    Auf der Place de la Révolution schlenderte ich auf den Obelisk zu, auf dessen Stufen, neben sich einen Korb roter Rosen, eine blinde Frau mit wirrem Haar saß. Ihre Haltung war kerzengerade, denn auf ihren Knien lag ein kleines Brett mit einer Schachtel Münzen, auf die mit Kreide geschrieben stand: Bitte vergessen Sie mich nicht!
    »Eine Rose bitte, Madame.«
    Die Frau langte in den Korb, hob die Rose an die Nase und schnupperte daran.
    »Ist sie schön genug?«
    »Durchaus.«
    »Gut. Erzählen Sie der Dame Ihres Herzens aber nicht, dass Sie die Rose von der Blinden am Obelisk haben. Sie wird Ihnen sonst alles Mögliche unterstellen.«
    »Warum glauben Sie das?«
    »Na, denken Sie doch mal nach. Seiner Geliebten eine Rose von einer Blinden zu schenken ist ungefähr so, als würde Ihre Geliebte Ihnen das Taschentuch vermachen, in das sie die Tränen ihrer ersten verflossenen Liebe geheult hat.«
    »Madame, ich glaube, Sie haben recht.«
    Ich hatte kein Ziel, und so durchquerte ich die Tuilerien und schaute zu, wie sich vor einem der Brunnen ein Clochard mit ausgebreiteten Armen auf der Stelle drehte: Anfangs wirkte er wackelig wie ein Dreijähriger, dann aber wurde er langsam sicherer. Seinem Kumpanen, der ihn anfeuerte, stand der Wunsch ins Gesicht geschrieben, er möge stürzen, doch der Mann hielt sich wacker. Er wurde immer schneller, klatschte dabei schließlich in die Hände. Irgendwann ging er sogar in die Knie und legte einen Kosakentanz hin - das Gesicht strahlend glücklich, selbstvergessen. Plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern. Abrupt sprang er auf und schüttelte vor seinen johlenden Kumpanen die Faust, die ihm darauf die Schnapsflasche hinhielten.
    Vor dem Palais Royal schmerzten mir die Füße. Ich schaute mich nach einer Droschke um, aber stattdessen kam ein Omnibus-Wagen. Ich winkte, der Wagen, ein klobiger weißer Kastenwagen, den drei zottelige Kaltblüter zogen, hielt. Der Kondukteur ließ die fliegende Treppe herab, kassierte drei Sous, und schon ging es im Schrittempo weiter. Zwanzig bis dreißig Menschen fanden in so einem Omnibus Platz. An diesem Tag war bislang nur ein knappes Dutzend zugestiegen, die meisten von ihnen müde gewordene Fußgänger. Ich erinnerte mich daran, dass dieses Beförderungsmittel besonders im Sommer von Damen geschätzt wurde, die sich zwar über seine Langsamkeit mokierten, doch dankbar waren, wenn sie, geschwächt von ihren Einkaufstouren, von ihm aufgenommen wurden. „Himmlisch“ lobten sie es dann, und überhaupt nicht mehr geschmacklos. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang befuhr jeder dieser Omnibusse dieselbe Strecke, und ich fragte mich im stillen, was ich am Ziel, dem Rathaus, zu tun gedachte.
    Bis zur Endstation hatte ich mich glücklicherweise erholt und verspürte neue Unternehmungslust. Es ist noch zu früh, um nach Hause zu gehen, sagte ich mir und schnupperte an der Rose.
    »Comte de Carnoth oder Marie-Thérèse?«
    Die Rose machte mir die Entscheidung leicht. Barmherzigkeit zahlt sich eben aus, frohlockte ich und überlegte mir ein paar Entschuldigungsfloskeln. Immerhin kam ich unangemeldet. Einmal ganz abgesehen davon, dass ich Marie-Thérèse nicht in ihrer eigenen Wohnung aufzusuchen gedachte, sondern in der Baron Ludwigs.
    Die Kunst! Die Künstler! Ich stand vor dem Tor zum Hôtel de Soubise, das der Wohnung des Barons gegenüberlag und lauschte.
    Klang dies

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