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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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wie sie atmete. Bei jedem tieferen Atemzug bebten ihre Brüste und drückten gegen meinen Bauch.
    Daraus wurde der süßeste Kampf meines Lebens.
    Als sie sich schließlich doch irgendwann von mir löste, blinzelte sie, als habe sie geträumt. Daraufhin blickte sie mich lange an. Ihr Gesichtsausdruck war der der leidenden Madonna schlechthin, trotzdem musste ich mich beherrschen, ihren gramverzerrten Mund nicht zu küssen.
    »Was ist passiert?«
    »Ludwig ist tot. Wieso kommst du erst jetzt?«
    Ich legte soviel Liebe in meinen Blick, wie ich konnte. Denn auch wenn Marie-Thérèse kaum mehr sah als nur Schemen, sie spürte immer, ob man sie anblickte oder nicht. Wie jeder oder jede andere auch wandte sie mir den Kopf zu und schaute mich direkt an. Mit ihrer ausdrucksstarken Mimik glich sie ihre Sehschwäche aus, und nur wer sich davon nicht fangen ließ, konnte beobachten, wie ihre Pupillen langsam von rechts nach links und wieder zurück wanderten, was aussah, als nehme sie Maß von dem, was sie vor sich erkennen wollte.
    Nach einer Weile begann sie zu lächeln. Ich zog sie an mich, und als sie sich für einen Augenblick wieder an mich kuschelte und wohlig seufzte, wurde es in meiner Seele hell. Dieses Seufzen war wie die Kadenz, die einen musikalischen Gedanken schloss, ein Gedanke, der harmonisch zu Ende gebracht worden war und jetzt bereit war, dem Satz einer Klaviersonate als Thema zu dienen. Licht und Schatten, weiblich und männlich, Vordersatz und Nachsatz - ich hatte das Gefühl, dass unser beider Wesen und Leben von dieser Sekunde an zu einem Thema verschmolz. Das Leben konnte uns trennen und durch die Welt scheuchen, den einen an den Nordpol, den anderen an den Südpol, den einen in den Himalaya, den anderen in die Pyrenäen: Dieser Seufzer war wie das Versprechen, den anderen nie mehr zu vergessen.
    Endlich lösten wir uns. Sie schob mich sanft von sich und sank auf den Schemel ihres Flügels. Zu mir aufsehend griff sie nach meiner Rechten und hielt sie schlaff in ihrem Schoß umFasst.
    »Erzähle mir etwas von Ludwig. Wart ihr Spielgefährten?«
    »Ein wenig - so weit, wie ein vier Jahre älterer Junge, der dazu der Sohn des Forstverwalters ist, eben mit den Kindern eines Barons spielt.«
    »Ist Ehnheim ein schönes Städtchen?«
    »Das Herz des Elsaß. Mittelalterlich, mit Wachtürmen und hübschen Fachwerkhäusern.«
    »Ludwig erwähnte einmal, in Ehnheim sei eine Heilige geboren … «
    »Ja, die Heilige Odilia. Die Legende erzählt, sie sei blind auf die Welt gekommen, weswegen sie von ihrem Vater, dem elsässischen Herzog Adalric, verstoßen und in ein burgundisches Kloster gesteckt wurde.«
    Marie-Thérèse nickte und entzog mir die Hand. Sie wirkte plötzlich erschöpft und desinteressiert, begann aber erneut, zu spielen. Wieder erklangen die drei Akkorde, drei Hornrufe, „Les adieux.“ Marie-Thérèse stockte, begann von neuem, brach wieder ab.
    »Marie-Thérèse, was ist passiert? Bitte sag es mir.«
    »Himmel! Ludwig wurde in seinem Schlafzimmer umgebracht!«
    Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Ich trat hinter sie und legte ihr vorsichtig beide Hände auf die Schultern. Marie-Thérèse beruhigte sich, ließ nach einer Weile ihren Kopf in den Nacken fallen. Die Augen geschlossen und den Mund offen, wirkte sie, als hätte sie der Schlag gerührt.
    »Küß mich und dann geh!«
    »Wenn du es wünschst …«
    »Sei nicht so förmlich.«
    Ich sank in die Knie. Langsam bewegten sich meine Lippen auf ihren Mund zu.
    »Ja, doch.«
    Es klang unwillig, gereizt. Mir kam es vor, als wolle Marie-Thérèse in diesem Moment Trauer und Verzweiflung gleichsam gewaltsam von sich schieben, indem sie Gefühle des Begehrens in sich heraufbeschwor. Ich wurde unsicher. Forschend blickte ich Marie-Thérèse an, die wie ein Opfer vor mir verharrte, doch dann siegte mein Begehren: Ich küsste sie. Zart und kurz. Erwartungsvoll blieben ihre Lippen geöffnet, obwohl sie den Kuß nicht erwiderte.
    Trotzdem wagte ich keinen zweiten Kuß.
    Marie-Thérèse schlug die Augen auf. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    »Prüfung bestanden, Petrus. Aber nun etwas anderes: So, wie du auch La Belle Fontanon gesund gemacht hast, wirst du es auch bei mir versuchen. Versprichst du mir das?«
    Ich konnte kaum glauben, was und wie sie es sagte. Natürlich hätte ich Marie-Thérèse alles versprochen, nur um die Gewißheit zu bekommen, bald wieder in ihrer Nähe zu sein. Trotzdem war ich einen Augenblick

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