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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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überfiel mich Mut- und Ratlosigkeit. Wieder hagelte es alles zermalmende Quader, wieder beneidete ich die Spatzen, die sich um nichts von dieser rohen Gewalt erschrecken ließen. Es waren mehr als beim letzten Mal. Sie tschilpten, als würden sie gefüttert, flatterten, als würden sie gleichzeitig spielen, balzen und sich jagen. Ich beobachtete sie lange und aufmerksam. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Spatzen wollten mir etwas zeigen, dann wieder glaubte ich, sie machten sich über mich lustig.
    »Flieg einfach hindurch«, sagte ich leise.
    Wie zum Spaß breitete ich die Arme aus.
    Und blieb bleischwer am Boden.
    Mit Liebe im Herzen, möchte man Liebe geben. Nach meiner Orgie hatte ich das Bedürfnis, gut zu sein, mich mit meiner Gabe irgendwie nützlich zu machen. Aber wie anstellen? Sollte ich mir neue Subjekte suchen, mich ihnen vorstellen und sagen: Du lieber armer gequälter Mensch! Hör mir zu, sieh mir in die Augen – denn hinterher, sage ich dir, fühlst du dich besser?
    Unsinn.
    Aber der Mensch denkt, und das Schicksal lenkt. So hat zum Beispiel die Vergangenheit die unliebsame Eigenart, sich zuweilen mit katapultartiger Geschwindigkeit an die Gegenwart heranzumachen. Was dann zur Folge hat, dass die Gegenwart ins Straucheln kommt, hilflos umeinander rudert und dabei die dritte Schwester, die vorauseilende Zukunft anrempelt. Schwester Zukunft aber ist eine ebenso launige wie leichtfertige Schöne. Sie lauert immer darauf, einen Haken schlagen zu können – was sie schneller und eleganter und einfallsreicher tut als jeder Hase.
    Und wo trifft man in Paris Hasen? Natürlich im Grünen, auf Feldern und Wiesen und das heisst für einen Pariser: rechts und links der Champs Elysées. Das schräg stehende Sonnenlicht hatte sie mit gold-gleißender Farbe angemalt, auf der sich Menschen und Pferde wie gesichtslose schwarze Kreaturen aneinander vorbei bewegten. Einige Linden trugen noch Laub, andere waren bereits kahl, vereinzelt dampften milchige Nebel aus den Ästen. Noch einmal feierte sich Paris im Glanz der Sonne, aber ihr Gold war kalt und hinterließ nur Misstrauen.
    Es war gegen Mittag.
    Ich hatte im Café gesessen, ausgiebig Zeitung gelesen und zwei Weißbrote mit Salat und Gänseleber verdrückt. Die Karaffe Burgunder, die ich mir geleistet hatte, wärmte das Gemüt und stimmte mich dermaßen versöhnlich, dass ich mich sogar mit dem Gedanken angefreundet hatte, eine Bewerbung für die Salpêtrière zu schreiben. Aber Café macht nüchtern. Nach drei starken reinen Arabicas kam ich zum Schluß, mir diese Arbeit schenken zu können. Weder Pinel noch Esquirol hätten mich nach dem Soulé-Desaster eingestellt. Waren meine Tage in dieser Stadt etwa gezählt? Und wenn ja, wohin dann? Nach Strasbourg? Marseille? Oder gleich zu den Deutschen? Immerhin war ich Elsässer.
    Was grübelte ich? Im Moment verfügte ich noch über ein paar Ersparnisse. Nur, wie lange reichten die in Paris? Ich schob die lästigen Fragen beiseite und lenkte mich mit der Betrachtung der Schönen und Reichen dieser Welt ab. Die Baustelle des Arc de Triomphe im Rücken schlenderte ich stockschwingend über die Champs Elysées und gab mich der Vorstellung hin, was ich alles kaufen würde, würde mein Lotterielos gewinnen. Zur Abwechslung ließ ich mich anschließend von zwei schlanken Reiterinnen fesseln. Eingezwängt in den schwarzen Stoff ihrer straff sitzenden Reitkleidung, sahen sie in ihrem Damensitz wie festgeklebte Plastiken aus. Ihre Mienen waren unbeweglich, hochnäsig und unnahbar – paßten perfekt zu den grauweißen Stuten, deren kupierte Schwänze fächerförmig gebunden waren.
    Wie ein Ensemble eingerosteter Automaten, dachte ich. Ihr Damen, sprach ich bei mir, gewiß habt ihr euch eingeredet, wenn man auf den Champs Elysées einen Spazierritt macht, muss es aussehen, als sei man ein gefühlloses Wesen. Hockt ihr hingegen im Theater in euren Logen, lächelt ihr unentwegt und schaut euer Gegenüber an, als sei es der interessanteste Mensch von der Welt, selbst wenn ihr ihn verabscheut und am liebsten mit euren Fächern erschlagen würdet. In der Kirche wieder neigt ihr demütig das Haupt, und eure Mundwinkel unter dem Gesichtsschleier sind grämlich verzogen. Jedesmal denkt ihr, ihr wäret Herr über euch selbst. Doch verhaltet ihr euch nur gemäß des Ortes und Raums, in dem ihr euch bewegt. In Wahrheit unterliegt ihr permanent euren eigenen Suggestionen, die der comme il faut für euch bereit hält.
    Ein niedriger

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