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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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lang wie benebelt. Fast glaubte ich, in einen Traum gestürzt zu sein, doch ich wusste nur zu gut, dass dies hier die Wirklichkeit war und ich mich an diesem zwar verständlichen, gleichwohl erstaunlich geradlinig geäußerten Wunsch nicht verhört hatte.
    Statt Marie-Thérèse eine Antwort zu geben, küsste ich sie. Der Zauber ist vorüber, dachte ich, suche auch du jetzt deinen Vorteil. Mir gingen Bilder im Kopf herum, die schamlos genug waren, dass ich mich fragte, ob diese Frau mich gerade verhext hatte. Kuß folgte auf Kuß. Um mich endlich losreißen zu können, fragte ich mich, wie Philippe reagieren würde, wenn er uns beide jetzt so sähe – was eine in der Tat ernüchternde Frage war. Wohltuend ernüchternd, muss ich hinzufügen. Ich erhob mich und verließ den Salon, ohne mich noch einmal umzudrehen mit einem knappen „Les Adieux“.
    Draußen war mir dann doch zum Jubeln zumute. Endlich hatte mein Leben wieder einen Sinn. Ich durfte auf Liebe hoffen, auf eine Frau, die meiner würdig war.
    »Juliette, Schwester«, flüsterte ich zu Hause vor meinem Trumeau. »Glaubst du, sie ist die Richtige?«
    Doch statt eine neue Auto-Hypnose zu inszenieren, begann ich zu grübeln. Ludwig also war in seinem Schlafzimmer ermordet worden. Und von wem? Steckte Philipp dahinter? Musste ich auf der Hut sein?

9.
    Irgendwie fand die Tragödie dann doch den Weg in die Zeitung. Ich erfuhr, dass Baron Ludwig Oberkirch morgens von seinem Diener gefunden worden war. Todesursache war ein Stich ins Herz, monströs die Tatsache, dass dem Baron die Handinnenseiten zerschnitten worden waren. Angeblich habe der Mörder sogar versucht, ihm die Hände abzutrennen.
    Ich erinnerte mich natürlich sofort daran, wie wichtig es Marie-Thérèse gewesen war, meine Hand zu befühlen. Offensichtlich hatte der Mörder auf dieses Gebaren angespielt - demnach also musste er Marie-Thérèse gut kennen.
    Philippe also.
    »Unsinn. Es wäre viel zu einfach.«
    Aber interessiert dich dies im Moment überhaupt?
    Ich war nahe daran, zu behaupten: Es ist mir ganz und gar gleichgültig. Damals hatte ich in Ludwig allein den Rivalen gesehen. Nun würde Zwillingsbruder Philippe dessen Stelle einnehmen wollen, und dies war eine Vorstellung, die mir fiebrige Eifersuchtsschübe bescherte. Die Folge war, es wurde mir unmöglich, Philippe aufzusuchen und ihm zu kondolieren – obwohl er mir den Tod seines Zwillingsbruders anzeigte und mich einlud, zur Beisetzung mit ins Elsaß zu fahren. Ich redete mich mit einer Erkältung und dem miserablen Wetter aus und entblödete mich nicht, in meiner Wohnung tatsächlich auf Anzeichen einer solchen Erkältung zu warten.
    In den Tagen darauf überließ ich mich den närrischsten Einfällen: Eine gute Woche hatte ich bis zu Marie-Thérèses Konzert zu überbrücken, eine lange Zeit, in der ich dichtete, aber nur, um alles Geschriebene noch am selben Abend wieder durchzustreichen. Indes, es waren keine hehren Verse, die ich da fabrizierte. Ich plagte mich nicht damit ab, romantische Bilder zu erfinden, nein, ich schlug mir die Zeit tot, indem ich deftige Reimereien zu Papier brachte – Verse, die von Tag zu Tag obszöner wurden und in ein paar Bögen Zeichnungen gipfelten, die weibliche Geschlechtsteile abbildeten.
    „So sieht sie aus“, schrieb ich neben einen Unterleibstorso.
    »Und was meint dazu nun der Psychiater?« fragte ich mich selbstironisch und schrieb die Antwort daneben: »Er will seine Angst bannen, sich mit jener Mademoiselle Marie-Thérèse in eine Künstlerin verliebt zu haben, deren Genie nur dann blüht, wenn ihr Leib vorher gesungen hat.«
    Mit anderen Worten: Ich befürchtete, Marie-Thérèse sei ein Vampir, der unschuldigen Männern Geld und anderes aussaugt, um ihre genialisch klavieristischen Leidenschaften damit zu nähren. Vielleicht half dagegen ja ein bisschen Schamanismus: Ich glaubte mich von meiner Hypertrophie befreien zu können, indem ich Verse und Zeichnungen auf teures Pergament übertrug, das ich eines Abends vor dem Zubettgehen verbrannte. Die Asche sammelte ich in einem kleinen Holzkästchen, das ich „Liebesurne“ taufte und mir neben das Kopfkissen stellte. Nachts jedoch überfiel mich eine nie gekannte Art von Grauen. Zusammengekauert, die Knie an den Bauch gedrückt, bildete ich mir so lebhaft ein, an den Händen zu bluten, dass ich meinte, es tropfe auf den Boden. Ich hatte das Bedürfnis, laut zu schreien, brachte es aber nur zu erstickten Kehllauten. Mein Unterkiefer war

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