Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
mit Wut auf einen kranken und verwirrten Menschen zu reagieren.
»Warum hast du mir dieses Bild weggenommen?«
»Du nimmst! Du nimmst und nimmst und nimmst! Was zum Teufel würdest du sagen, wenn ich dir Sachen abnehmen würde? Was denkst du, wie würdest du dich dabei fühlen?«
Sie verbarg das Gesicht in den Händen und sagte, dass sie mich hasste, sie wiederholte es immer wieder, vielleicht hundert Mal, bis sie sich beruhigte.
»Du musst schon verstehen, dass ich wütend auf dich werde«, sagte sie schließlich gefasst, »wenn du behauptest, dass ich dir Sachen wegnehme. Ich habe dir doch ein ganz tolles Bild geschenkt.«
»Ja.«
Sie lächelte breit und leckte sich die Lippen.
»Du hast etwas von mir bekommen«, fuhr sie fort. »Jetzt möchte ich etwas von dir haben.«
»Was möchtest du haben?«, fragte ich ruhig.
»Jetzt komm schon«, sagte sie.
»Sag einfach, was …«
»Ich möchte, dass du mich hypnotisierst«, antwortete sie.
»Warum hast du eine Rute vor meine Haustür gelegt«, fragte ich. Sie starrte mich ausdruckslos an.
»Was ist eine Rute?«
»Man züchtigt Kinder mit solchen Ruten«, sagte ich verbissen.
»Ich habe nichts vor deine Tür gelegt.«
»Du hast eine alte …«
»Lügner«, schrie sie.
Sie stand auf und ging zur Tür.
»Eva, wenn du nicht begreifst, welche Grenzen du nicht übertreten darfst, wenn du nicht kapierst, dass du mich und meine Familie in Ruhe lassen musst, werde ich mit der Polizei sprechen müssen.«
»Und was ist mit meiner Familie?«, erwiderte sie.
»Du hörst mir jetzt zu!«
»Faschistenschwein«, schrie sie und verließ den Raum.
Meine Patienten saßen in einem Halbkreis vor mir. Diesmal war es leicht gewesen, sie zu hypnotisieren. Wir waren ganz sanft durch das perlende Wasser gesunken. Ich arbeitete weiter mit Charlotte. Ihr Gesicht war so traurig entspannt, die Ringe unter den Augen ganz tief, die Kinnspitze ein wenig faltig.
»Entschuldige«, flüsterte Charlotte.
»Mit wem spricht du?«, fragte ich.
Ihr ganzes Gesicht verzerrte sich kurz.
»Entschuldige«, wiederholte sie.
Ich wartete. Sie war ganz offensichtlich in einer tiefen Hypnose. Sie atmete schwer, aber lautlos.
»Du weißt, dass du bei uns sicher bist, Charlotte«, sagte ich. »Es kann dir nichts passieren, dir geht es gut, und du fühlst dich angenehm entspannt.«
Sie nickte traurig, und ich wusste, dass sie mich hörte und meinen Worten folgte, ohne die Realität der Hypnose noch von der Wirklichkeit unterscheiden zu können. In ihrem tiefen hypnotischen Zustand war es, als sähe sie sich einen Film an, in dem sie selber mitwirkte. Sie war Publikum und Handelnde zugleich, aber nicht in zwei unterschiedliche Parts aufgeteilt, sondern in einer Person vereint.
»Sei nicht wütend«, flüsterte sie. »Entschuldige, bitte, entschuldige. Ich werde dich trösten, ich verspreche es, ich werde dich trösten.«
Ich hörte die Gruppe ringsum schwer atmen und begriff, wir waren im verwunschenen Schloss, wir hatten es in Charlottes schrecklichen Raum geschafft, und ich wollte, dass sie dort blieb, ich wünschte mir, dass sie die Kraft haben würde, aufzublicken und etwas zu sehen, einen ersten Blick darauf zu werfen, wovor sie solch furchtbare Angst hatte. Ich wollte ihr helfen, hütete mich diesmal jedoch, den Prozess voranzutreiben, den Fehler der Vorwoche zu wiederholen.
»In Großvaters Turnhalle ist es kalt«, sagte Charlotte plötzlich.
»Siehst du etwas?«
»Lange Dielen, einen Eimer, ein Kabel«, hauchte sie fast lautlos.
»Tritt einen Schritt zurück«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Charlotte, du trittst jetzt einen Schritt zurück und legst deine Hand auf die Türklinke.«
Ich sah ihre Lider zittern, Tränen schossen durch die Wimpern heraus. Ihre Hände lagen nackt und leer auf ihrem Schoß wie bei einer alten Frau.
»Du spürst die Klinke und weißt, dass du das Zimmer jederzeit verlassen kannst, wenn du dies möchtest«, sagte ich.
»Darf ich das?«
»Du drückst die Klinke hinunter und gehst hinaus.«
»Es ist bestimmt das Beste, wenn ich jetzt einfach gehe …«
Sie verstummte, hob das Kinn und drehte anschließend mit kindlichem, halb offenem Mund den Kopf.
»Ich bleibe doch noch ein bisschen«, sagte sie leise.
»Bist du allein?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich höre ihn«, murmelte sie, »aber ich kann ihn nicht sehen.«
Sie runzelte die Stirn, als versuchte sie irgendetwas besser zu erkennen, das gleichwohl schemenhaft
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