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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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holen«, ruft Jussi und versteckt das Telefon unter seiner Jacke.
    »Ich bin fertig«, sagt Benjamin.
    Lydia bleibt in der Tür stehen und lässt Benjamin ins Haus.
    Sobald Jussi im Holzschuppen ist, blickt er auf das Handy und sieht, das in dem hellblauen Display »Mama« steht. Trotz der Kälte steigt ihm der Duft von Holz und Harz in die Nase. Im Schuppen ist es stockfinster, das Telefon ist die einzige Lichtquelle. Jussi hält es sich ans Ohr und hört, dass sich jemand meldet.
    »Hallo«, sagt ein Mann. »Hallo?«
    »Erik, bist du’s?«, fragt Jussi.
    »Nein, hier spricht …«
    »Ich heiße Jussi, könnten Sie Erik bitte etwas von mir ausrichten, es ist wichtig, wir sind hier oben, bei mir zu Hause, ich und Lydia und Marek und …«
    Jussi wird davon unterbrochen, dass der Mann am anderen Ende auf einmal unartikuliert aufschreit. Es kracht und rauscht, jemand hustet, eine Frau weint klagend, und es wird still. Die Leitung ist unterbrochen. Jussi betrachtet das Telefon und überlegt, dass er es bei jemand anderem versuchen wird. Als er im Telefonbuch blättert, ist der Akku plötzlich leer. Das Telefon erlischt, und im selben Moment geht die Tür zum Holzschuppen auf, und Lydia lugt herein.
    »Ich habe durch die Ritzen in der Tür deine Aura gesehen, sie war ganz blau«, sagt sie.
    Jussi verbirgt das Handy hinter seinem Rücken, steckt es in die Tasche und beginnt, einen Korb mit Brennholz zu füllen.
    »Geh ins Haus«, weist Lydia ihn an. »Ich mache das hier.«
    »Danke«, antwortet Jussi und verlässt den Schuppen. Auf dem Weg zum Haus sieht er die Eiskristalle auf dem Schnee im Licht der Fenster funkeln. Es knirscht trocken unter seinen Stiefeln. Ruckende, schlurfende Schritte nähern sich ihm, begleitet von einem Keuchen von hinten. Jussi muss an seinen Hund Castro denken. Er erinnert sich an Castro als Welpe, der unter dem leichten Neuschnee Mäuse jagte. Jussi lächelt still, als ihn ein Schlag auf den Hinterkopf nach vorn stolpern lässt. Er würde auf den Bauch fallen, wenn sich die Axt nicht in seinem Hinterkopf verkeilt hätte und ihn nach hinten ziehen würde. Er steht mit hängenden Armen auf der Stelle. Lydia ruckelt an der Axt und zieht sie heraus. Jussi spürt das Blut seinen Nacken und Rücken herablaufen. Er sinkt auf die Knie, fällt nach vorn, spürt den Schnee auf seinem Gesicht, tritt mit den Beinen aus und rollt auf den Rücken, um wieder hochzukommen. Jussis Gesichtsfeld verengt sich schnell, aber in seinen letzten bewussten Sekunden nimmt er noch Lydia wahr, die über ihm die Axt hebt.

52.
     
    Sonntagmorgen, der zwanzigste Dezember,
vierter Advent
     
     
     
     
    Benjamin sitzt zusammengekauert an der Wand hinter dem Fernsehapparat. Ihm ist furchtbar schwindlig, und es fällt ihm schwer, etwas zu fixieren. Aber am schlimmsten ist der Durst. Er ist durstiger, als er es in seinem Leben je zuvor gewesen ist. Der Hunger hat nachgelassen, er ist zwar nicht verschwunden, sondern existiert als vager, bohrender Schmerz im Darm, wird aber völlig vom Durst überschattet, vom Durst und den Schmerzen in seinen Gliedern. Der Durst ist ein Gefühl, als würde man erstickt, als wäre der Hals voller Wunden. Inzwischen kann er kaum noch schlucken, er hat keinen Speichel mehr im Mund. Er denkt an die Tage auf dem Fußboden in diesem Haus, an denen Lydia, Marek, Annbritt und er selbst nur in dem einzigen möblierten Zimmer sitzen, ohne irgendetwas zu tun.
    Benjamin lauscht den Schneemassen, die auf dem Dach knarren. Er denkt daran zurück, wie Lydia in seinem Leben auftauchte, als sie ihm eines Tages nach der Schule hinterherlief.
    »Du hast da was vergessen«, rief sie und gab ihm seine Mütze.
    Er blieb stehen und bedankte sich. Daraufhin sah sie ihn eigentümlich an und meinte:
    »Du bist Benjamin, nicht wahr?«
    Er hatte sie gefragt, woher sie seinen Namen kannte. Daraufhin hatte sie ihm über die Haare gestrichen und gemeint, sie habe ihn zur Welt gebracht.
    »Aber ich habe dich eigentlich Kasper getauft«, hatte sie gesagt. »Ich möchte dich Kasper nennen.«
    Dann hatte sie ihm einen hellblauen gestrickten Strampelanzug gegeben.
    »Den habe ich für dich gemacht, als du in meinem Bauch warst«, hatte sie geflüstert.
    Er hatte ihr erklärt, dass sein Name Benjamin Peter Bark war und er nicht ihr Kind sein konnte. Das Ganze war ziemlich traurig gewesen, und er hatte sich bemüht, ruhig und freundlich mit ihr zu sprechen. Sie hatte ihm lächelnd zugehört und anschließend nur melancholisch

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