Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
den Kopf geschüttelt.
»Frag deine Eltern«, hatte sie gesagt. »Frag sie, ob du ihr leibliches Kind bist. Du kannst sie zwar fragen, aber sie werden dir nicht die Wahrheit sagen. Sie konnten keine Kinder bekommen. Du wirst merken, dass sie lügen. Das tun sie, weil sie Angst haben, dich zu verlieren. Du bist nicht ihr leibliches Kind. Du bist mein Sohn. Das ist die Wahrheit. Siehst du nicht, dass wir uns ähnlich sehen? Man hat mich gezwungen, dich zur Adoption freizugeben.«
»Aber ich bin nicht adoptiert«, widersprach er.
»Ich wusste es … ich wusste, dass sie es dir nicht sagen würden«, sagte sie.
Er dachte nach und erkannte auf einmal, dass sie womöglich Recht hatte, denn er hatte sich schon lange irgendwie anders gefühlt.
Lydia sah ihn lächelnd an.
»Ich kann das nicht beweisen«, sagte sie. »Du musst auf deine Gefühle hören, du musst in dich hineinhorchen. Dann wirst du spüren, dass es wahr ist.«
Sie trennten sich, aber am nächsten Tag traf er sie wieder. Sie gingen gemeinsam zu einer Konditorei und unterhielten sich lange. Sie erzählte ihm, dass sie ihn damals zur Adoption freigeben musste, ihn aber nie vergessen hatte. Seit er geboren wurde und man ihn ihr weggenommen hatte, war sie in Gedanken täglich bei ihm gewesen. Sie hatte sich in jeder Minute ihres Lebens nach ihm gesehnt.
Benjamin hatte das alles Aida erzählt, und sie waren sich einig gewesen, dass Erik und Simone auf keinen Fall etwas davon erfahren durften, solange er nicht gründlich über alles nachgedacht hatte. Er wollte Lydia erst etwas besser kennenlernen, wollte darüber nachdenken, ob es wirklich stimmen konnte, was sie behauptete. Lydia nahm über Aidas E-Mail-Adresse Kontakt zu ihm auf und schickte ihm das Foto des Familiengrabs.
»Ich möchte, dass du erfährst, wer du bist«, hatte sie gesagt. »Hier ruht deine Familie, Kasper. Eines Tages werden wir gemeinsam an diesen Ort fahren, nur du und ich.«
Benjamin war fast so weit gewesen, ihr zu glauben. Er wollte ihr glauben, sie war interessant. Es war ein eigenartiges Gefühl, so heiß ersehnt und innig geliebt zu werden. Sie hatte ihm Dinge geschenkt, kleine Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit, Geld, Bücher und eine Kamera, und er hatte ihr Zeichnungen geschenkt und Dinge, die er als Kind aufbewahrt hatte. Sie hatte sogar dafür gesorgt, dass Wailord ihn nicht mehr schikanierte. Eines Tages hatte sie ihm einfach ein Blatt überreicht, auf dem Wailord hoch und heilig versprach, Benjamin und seine Freunde nie wieder zu behelligen. Das hätten seine Eltern niemals hinbekommen. Er hatte mehr und mehr den Eindruck gewonnen, dass seine Eltern – diese Menschen, denen er sein ganzes Leben geglaubt hatte – sich wie Lügner benahmen. Es hatte ihn geärgert, dass sie niemals mit ihm redeten und nie wirklich zeigten, was er ihnen bedeutete.
Er war so unglaublich dumm gewesen.
Dann hatte Lydia angefangen, darüber zu sprechen, ihn zu Hause zu besuchen. Sie wollte seine Schlüssel haben. Er verstand nicht ganz, warum sie die Schlüssel haben wollte. Er sagte ihr, dass er sie hereinlassen würde, wenn sie vorher anrief. Da wurde sie wütend auf ihn. Sie meinte, wenn er ihr nicht gehorche, müsse sie ihn züchtigen. Er war total baff gewesen, erinnert er sich. Sie erzählte ihm, dass sie seinen Adoptiveltern eine Rute geschenkt hatte, als er noch ein kleines Kind war, um ihnen klarzumachen, dass sie ihn gut erziehen sollten. Dann zog sie einfach die Schlüssel aus seinem Rucksack und erklärte, sie entscheide selbst, wann sie ihr Kind besuche.
Da hatte er begriffen, dass sie krank sein musste.
Als sie am nächsten Tag auf ihn wartete, ging er zu ihr und sagte betont ruhig, dass er seine Schlüssel zurückhaben und sie nicht mehr sehen wolle.
»Aber Kasper«, hatte sie erwidert. »Selbstverständlich bekommst du deine Schlüssel zurück.«
Lydia hatte sie ihm gegeben. Er ging, und sie folgte ihm. Er blieb stehen und fragte sie, ob sie nicht verstanden habe, dass er sie nicht mehr sehen wolle.
Benjamin schaut an seinem Körper hinab. Er sieht, dass er am Knie einen großen blauen Fleck hat. Wenn Mama den sähe, würde sie ausflippen, denkt er.
Marek steht wie üblich am Fenster und starrt hinaus. Er zieht die Nase hoch und spuckt gegen die Scheibe, zu Jussis Körper im Schnee gewandt. Annbritt sitzt zusammengesunken am Tisch. Sie versucht, nicht zu weinen, schluckt und räuspert sich. Als sie aus dem Haus kam und Lydia sah, die Jussi umbrachte, schrie
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