Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
gesehen.«
»Was wird jetzt passieren?«, fragt Joona.
»Mit dem Patienten?«
»Ja, ich meine, wenn Sie ihn hypnotisieren.«
»Bei einer dynamischen Hypnose, also in einem therapeutischen Zusammenhang, spaltet sich der Patient fast immer in ein beobachtendes Ich und ein oder mehrere erlebende und agierende Ichs auf.«
»Er sieht sich selbst auf einer Bühne?«
»Ja.«
»Was werden Sie ihm sagen?«
»Als Erstes und Wichtigstes muss ich ihn dazu bringen, sich sicher und geborgen zu fühlen. Er hat schreckliche Dinge erlebt, sodass ich damit beginnen werde, ihm zu erklären, was ich vorhabe, um anschließend zur Entspannung überzugehen. Ich spreche beruhigend über seine Lider, die schwerer werden und die er schließen will, über die tiefen Atemzüge durch die Nase, ich gehe den Körper vom Scheitel bis zur Sohle durch und anschließend denselben Weg wieder zurück.«
Erik wartet, während Joona schreibt.
»Danach folgt die sogenannte Hypnoseinduktion«, sagt Erik. »Ich füge eine Art verborgener Kommandos in meine Worte ein und bringe den Patienten dazu, sich Orte und einfache Abläufe vorzustellen, ich suggeriere eine immer weiter führende Wanderung in den Gedanken, bis das Bedürfnis, die Situation unter Kontrolle zu haben, fast vollständig aufhört. Es ist ein bisschen wie beim Lesen eines Buchs, das so spannend wird, dass man sich nicht mehr bewusst ist, irgendwo zu sitzen und zu lesen.«
»Ich verstehe.«
»Wenn man die Hand des Patienten anhebt und wieder loslässt, sollte sie starr, kataleptisch, in der Luft hängen bleiben, sobald die Hypnoseinduktion abgeschlossen ist«, erklärt Erik. »Nach der Induktion zähle ich rückwärts und vertiefe die Hypnose dabei weiter. Ich zähle, andere bitten den Patienten, sich eine Skala von Grautönen vorzustellen, um in seinen Gedanken alle Grenzen aufzulösen. Im Grunde werden dadurch bloß Ängste oder kritische Gedankengänge ausgeschaltet, die ansonsten bestimmte Erinnerungen blockieren würden.«
»Werden Sie ihn hypnotisieren können?«
»Wenn er sich nicht dagegen sträubt, ja.«
»Was passiert dann?«, fragt Joona. »Was passiert, wenn er sich sträubt.«
Erik antwortet nicht. Er beobachtet den Jungen durch das Glas, versucht, sein Gesicht zu deuten, seine Empfänglichkeit einzuschätzen.
»Es ist schwer zu sagen, was ich herausfinden werde, das Ergebnis kann von sehr unterschiedlicher Relevanz sein«, erklärt er.
»Ich bin nicht auf eine Zeugenaussage aus, ich brauche nur einen Tipp, eine Personenbeschreibung, irgendeinen Hinweis.«
»Dann soll ich also nur nach der Person suchen, die seiner Familie das angetan hat?«
»Von mir aus auch nach einem Namen oder einem Ort oder einem Zusammenhang.«
»Ich habe keine Ahnung, wie es laufen wird«, sagt Erik und holt tief Luft.
Joona begleitet ihn hinein, setzt sich auf einen Stuhl in der Zimmerecke, streift die Schuhe ab und lehnt sich zurück. Erik dimmt das Licht, zieht einen Stahlhocker heran und setzt sich neben das Bett. Vorsichtig beginnt er, dem Jungen zu erklären, dass er ihn hypnotisieren möchte, weil er ihm helfen will, zu verstehen, was am Vortag geschehen ist.
»Josef, ich werde die ganze Zeit bei dir sitzen«, sagt Erik ruhig. »Es gibt wirklich nichts, wovor du Angst haben musst. Du kannst dich ganz sicher fühlen. Ich bin deinetwegen hier, du sagst nichts, was du nicht sagen willst, und kannst die Hypnose jederzeit selbst beenden.«
Erst jetzt spürt Erik, wie sehr er sich nach diesem Prozess gesehnt hat. Sein Herz schlägt fest und schwer. Er muss versuchen, seinen Eifer im Zaum zu halten. Der Verlauf darf nicht erzwungen, nicht überstürzt werden. Er muss von Ruhe erfüllt sein, muss einsinken und in seinem eigenen sanften Tempo genossen werden.
Es ist leicht, den Jungen zur völligen Entspannung zu führen, sein Körper ruht bereits und scheint sich nach noch mehr Ruhe zu sehnen.
Als Erik den Mund öffnet und mit der Hypnoseinduktion beginnt, ist es, als hätte er niemals aufgehört zu hypnotisieren: Seine Stimme ist eindringlich, sachlich und ruhig, die Worte kommen ihm ganz leicht und selbstverständlich über die Lippen, sie strömen voller monotoner Wärme und in einem betäubenden, fallenden Ton aus ihm heraus.
Augenblicklich spürt er Josefs große Empfänglichkeit. Der Junge scheint sich intuitiv an die Geborgenheit zu klammern, die Erik ihm vermittelt. Sein verletztes Gesicht wird schwerer, die Züge werden weicher, und sein Mund wird schlaffer.
»Josef, wenn
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