Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
und einen so lange provoziert, bis man richtig unfreundlich wird.
»Sind Sie eine Frau?«
»Ist das alles, was Sie wissen wollen?«, fragt sie kurz und wendet sich erneut dem Fenster zu.
Er steht auf und setzt sich neben sie.
»Jetzt hören Sie mir mal zu … Ich hatte eine Frau, und meine Frau, meine Frau …«
Simone spürt, dass Speichelspritzer auf ihrer Wange landen.
»Sie war wie Elizabeth Taylor«, fährt der Mann fort. »Wissen Sie, wer das ist?«
Er rüttelt ihren Arm.
»Wissen Sie, wer Elizabeth Taylor ist?«
»Ja«, sagt Simone ungeduldig. »Natürlich weiß ich das.«
Er lehnt sich zufrieden zurück.
»Immer neue Männer hatte sie«, jammert er. »Es musste alles immer noch besser sein, Brillantringe und Geschenke und Halsketten.«
Die Bahn wird langsamer, und Simone erkennt, dass sie aussteigen muss. Sie steht auf, aber er versperrt ihr den Weg.
»Jetzt umarm mich mal, ich will doch nur mal umarmt werden.«
Sie entschuldigt sich verbissen, schiebt seinen Arm weg und spürt eine Hand auf ihrem Po. Im selben Moment bleibt die Bahn mit einem Ruck stehen, und der Mann verliert das Gleichgewicht und plumpst schwer auf seinen Sitz.
»Luder«, sagt er hinter ihr ganz ruhig.
Sie steigt aus der Bahn, läuft aus der U-Bahn-Station hinaus, über die plexiglasverkleidete Brücke und die Treppe hinunter. Vor dem Einkaufszentrum sitzen drei betrunkene Männer auf einer Bank und unterhalten sich mit heiseren Stimmen. Simone eilt durch den Haupteingang und versucht erneut, Erik auf dem Handy zu erreichen. Aus dem Staatlichen Alkoholgeschäft schlägt ihr von einer zerbrochenen Flasche der Geruch alten Rotweins entgegen. Mit heftigen Atemzügen eilt sie am Fenster eines Restaurants vorbei und sieht ein Büffet mit Dosenmais, Gurkenstückchen und trockenen Salatblättern. Mitten auf einem Platz in der Einkaufspassage steht eine große Tafel, auf der die Geschäfte des Einkaufszentrums und ihre Lage beschrieben sind. Sie liest, bis sie findet, wonach sie sucht: Tensta Tattoo . Laut Plan soll das Geschäft ganz hinten auf der obersten Ebene liegen. Sie läuft zwischen Müttern in Elternzeit, untergehakten Rentnerehepaaren und Schule schwänzenden Jugendlichen zu den Rolltreppen.
Vor ihrem inneren Auge sieht sie, wie sich die Jugendlichen in einem Kreis um einen am Boden liegenden Jungen scharen und sie selbst sich hindurchdrängelt und erkennt, dass es Benjamin ist, der nach der begonnenen Tätowierung nicht mehr aufhört zu bluten.
Sie geht mit großen Schritten die Rolltreppe hinauf. Als sie die oberste Etage erreicht, wird ihr Blick von einer merkwürdigen Bewegung am hinteren Ende eines verwaisten Teils des Stockwerks angezogen. Dort scheint jemand über dem Geländer zu hängen. Sie geht in diese Richtung, und je näher sie kommt, desto deutlicher erkennt sie, was dort vorgeht: Zwei Kinder halten ein drittes Kind über das Geländer. Eine groß gewachsene Gestalt tritt hinter ihnen auf der Stelle und schlägt die Arme um sich, als wollte sie sich warm halten.
Die Gesichter der Kinder, die das völlig verängstigte Mädchen über den Rand halten, sind ganz ruhig.
»Was tut ihr da?«, ruft Simone, während sie zu ihnen geht. Sie traut sich nicht hinzurennen, weil sie fürchtet, die Kinder könnten sich erschrecken und das Mädchen fallen lassen. Es wäre ein Sturz von mindestens zehn Metern auf den Platz im Erdgeschoss.
Die Jungen haben sie gesehen und tun, als würde ihnen das Mädchen aus den Händen gleiten. Simone schreit auf, aber sie haben das Mädchen im Griff und ziehen es langsam hoch. Bevor sie wegrennen, lächelt einer der beiden Simone seltsam an. Nur der groß gewachsene Junge bleibt stehen. Das Mädchen sitzt schluchzend und zusammengekauert am Geländer. Simone bleibt mit pochendem Herzen stehen und beugt sich zu ihr hinab.
»Geht es dir gut?«
Das Mädchen schüttelt nur stumm den Kopf.
»Wir müssen zum Wachpersonal gehen«, erklärt Simone.
Das Mädchen schüttelt nochmals den Kopf. Es zittert am ganzen Leib und kauert sich am Geländer zusammen. Simone sieht den groß gewachsenen, übergewichtigen Jungen an, der sich nicht von der Stelle rührt und sie beobachtet. Er trägt eine dunkle Steppjacke und eine schwarze Sonnenbrille.
»Wer bist du?«, fragt Simone ihn.
Statt zu antworten, zieht er ein Kartenspiel aus der Jackentasche und beginnt darin zu blättern, hebt ab und mischt.
»Wer bist du?«, wiederholt Simone mit lauterer Stimme. »Bist du mit diesen Jungen
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