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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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aufgeschnitten und sich seine eigene Passage zum Leben geöffnet hat, die Passage, die ihn dazu verurteilte, mutterlos zu sein, die dazu führte, dass seine Mutter sich ihm niemals verbunden fühlte.
    Josef spürte früh, dass er anders war als die anderen Kinder, er war allein. Die Einzige, die ihm mit Liebe und Fürsorge begegnete, war Evelyn. Er konnte es nicht akzeptieren, von ihr zurückgewiesen zu werden. Das kleinste Anzeichen von Distanz stürzte ihn in Verzweiflung und rasende Wut, und sein Zorn richtete sich immer häufiger gegen seine von allen so innig geliebte kleine Schwester.
    Joona nickt Sunesson zu, der vor Josef Eks Zimmer steht, und betrachtet durch das Türfenster das Gesicht des Jungen. Der Urinbehälter des Blasenkatheters ist halbvoll, und ein schwerer Infusionsständer, der direkt neben dem Bett steht, versorgt Josef mit einer Infusionslösung und Blutplasma. Die Füße des Jungen lugen unter der hellblauen Decke heraus, seine Fußsohlen sind schmutzig. Der Fernseher läuft, aber Josef scheint nicht hinzusehen.
    Lisbet Carlén ist schon im Zimmer. Sie hat Joona noch nicht gesehen, sondern steht am Fenster und klemmt eine Spange in ihren Haaren fest.
    Eine von Josefs Wunden blutet wieder, und das Blut läuft den Arm hinunter und tropft auf den Fußboden. Eine ältere Krankenschwester beugt sich über ihn, löst die Kompresse, klebt die Wundränder wieder zusammen, wäscht das Blut ab und verlässt anschließend das Zimmer.
    »Entschuldigung«, sagt Joona und holt die Krankenschwester im Flur ein.
    »Ja.«
    »Wie fühlt er sich, wie geht es Josef Ek?«
    »Sprechen Sie mit der behandelnden Ärztin«, antwortet die Frau und geht weiter.
    »Das werde ich tun«, sagt Joona lächelnd und eilt ihr hinterher. »Aber … ich würde ihm gerne etwas zeigen … kann ich ihn hinfahren, in einem Rollstuhl, meine ich …«
    Die Krankenschwester schüttelt den Kopf und bleibt abrupt stehen.
    »Der Patient darf auf keinen Fall bewegt werden«, sagt sie streng. »Was sind das für Dummheiten, er hat starke Schmerzen und kann sich nicht bewegen, wenn er sich aufsetzt, könnte das neue Blutungen auslösen.«
    Joona Linna kehrt zu Josefs Zimmer zurück. Ohne anzuklopfen, geht er zu dem Jungen hinein, greift nach der Fernbedienung, macht den Apparat aus, schaltet das Aufnahmegerät ein, leiert Zeit und Datum und die Anwesenden im Zimmer herunter und setzt sich auf den Besucherstuhl. Josef öffnet seine schweren Augen und betrachtet ihn mit sanftem Desinteresse. Die Bülowdrainage produziert ein recht angenehmes, leise blubberndes Geräusch.
    »Du müsstest eigentlich bald entlassen werden«, sagt Joona.
    »Darauf freue ich mich«, erwidert Josef schwach.
    »Allerdings kommst du dann in Untersuchungshaft.«
    »Lisbet hat gesagt, dass der Staatsanwalt nicht bereit ist, etwas zu unternehmen«, sagt der Junge mit einem Blick auf die Sozialarbeiterin.
    »Das war, bevor wir einen Zeugen hatten.«
    Josef schließt sanft die Augen.
    »Wer ist das?«
    »Du und ich, wir haben uns ziemlich viel unterhalten«, sagt Joona. »Aber vielleicht möchtest du Teile deiner Aussagen ändern oder Dinge ergänzen, die du noch nicht gesagt hast.«
    »Evelyn«, flüstert er.
    »Du wirst für eine sehr lange Zeit nicht mehr herauskommen.«
    »Du lügst.«
    »Nein, Josef, ich sage die Wahrheit. Glaub mir. Gegen dich wird ein Haftbefehl erlassen, und du hast jetzt ein Anrecht auf einen Rechtsbeistand.«
    Josef versucht, die Hand zu heben, aber ihm fehlt die Kraft.
    »Ihr habt sie hypnotisiert«, sagt er lächelnd.
    »Nein.«
    »Ihr Wort steht gegen mein Wort«, sagt er.
    »Nicht ganz«, widerspricht Joona und betrachtet das blasse, glatte Gesicht des Jungen. »Wir haben auch noch Indizienbeweise.«
    Josef beißt fest die Zähne zusammen.
    »Ich habe eigentlich keine Zeit, hier zu sitzen, aber wenn du mir etwas sagen möchtest, kann ich noch ein bisschen bleiben«, sagt Joona freundlich.
    Er lässt eine halbe Minute verstreichen, trommelt auf die Armlehne, steht auf, nimmt sein Aufnahmegerät mit und verlässt mit einem Kopfnicken in Richtung der Sozialarbeiterin den Raum.
    Im Auto denkt Joona, dass er Josef besser mit Evelyns Geschichte konfrontiert hätte, er hätte es tun sollen, um die Reaktion des Jungen zu sehen. Es gibt einen brodelnden Hochmut in Josef Ek, der ihn eventuell zu einem Geständnis verleiten könnte, wenn man ihn nur ausreichend provoziert.
    Er überlegt kurz zurückzukehren, entscheidet sich dann aber dagegen, um

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