Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
nicht zu spät zu seinem Abendessen bei Disa zu kommen.
Es ist dunkel und neblig, als er in die Stadt fährt und den Wagen vor dem vornehmen Haus in der Lützengatan parkt. Als er zum Hauseingang geht und zu dem erfrorenen Gras auf dem Karlaplan und den schwarzen Ästen der Bäume hinüberblickt, ist ihm ausnahmsweise kalt.
Er versucht sich an Josef zu erinnern, aber das Einzige, was er vor sich sieht, ist der blubbernde und röchelnde Drainageapparat. Trotzdem hat er das Gefühl, etwas Wichtiges gesehen zu haben, ohne es zu verstehen.
Als er den Aufzug zu Disas Wohnung nimmt und klingelt, schwelt die Ahnung, dass etwas nicht stimmt, weiter in ihm. Es macht niemand auf. Joona hört, dass sich im Treppenhaus über ihm eine Frau aufhält, die stoßweise seufzt oder vielleicht auch fast lautlos weint.
Nur mit BH und Strumpfhose bekleidet, öffnet Disa ihm mit gestresstem Gesichtsausdruck die Tür.
»Ich bin davon ausgegangen, dass du zu spät kommst«, erklärt sie.
»Und dann komme ich stattdessen ein bisschen zu früh«, sagt Joona und haucht ihr einen Kuss auf die Wange.
»Könntest du jetzt bitte hereinkommen und die Tür schließen, bevor die ganze Nachbarschaft meinen Hintern gesehen hat?«
In dem gemütlichen Flur duftet es nach Essen. Eine rosafarbene Lampe mit Fransen streicht über Joonas Scheitel.
»Ich habe Seezunge mit Kartoffeln gekocht«, sagt Disa.
»Mit zerlassener Butter?«
»Und Pilzen, Petersilie und Kalbsfond.«
»Lecker.«
Die Wohnung ist ziemlich renovierungsbedürftig, aber im Grunde hübsch. Sie besteht nur aus zwei Zimmern und Küche, hat aber hohe Decken. Große Fenster zum Karlaplan, Fensternischen aus Teakholz, eine Decke aus lackierten Holzpaneelen und ein schön gebohnerter Fußboden.
Joona begleitet Disa ins Schlafzimmer. Er bleibt stehen und versucht zu verstehen, was er bei Josef gesehen hat. Auf dem ungemachten Bett liegt ein eingeschaltetes Notebook, Disa hat Bücher und lose Blätter um sich herum verstreut.
Er setzt sich in den Sessel und wartet, während sie sich anzieht. Wortlos kehrt sie ihm den Rücken zu, stellt sich vor ihn und lässt ihn den Reißverschluss eines engen, schlicht geschnittenen Kleides schließen.
Joona wirft einen Blick in eines der aufgeschlagenen Bücher und sieht eine große Schwarzweißaufnahme eines Gräberfelds. Die Archäologen, in der typischen Kleidung der vierziger Jahre, bewegen sich im Hintergrund des Bilds und lugen zum Fotografen hinüber. Sie scheinen mit ihren Ausgrabungen eben erst begonnen und als Erstes die Ausgrabungsfläche mit etwa fünfzig kleinen Fähnchen markiert zu haben.
»Es sind Gräber«, sagt Disa leise. »Die Fähnchen zeigen an, wo sich die Gräber befinden. Der Leiter der Ausgrabungen hieß Hannes Müller. Er starb vor einer Weile, wurde aber bestimmt hundert Jahre alt. Er war bis zuletzt immer am Institut. Er sah aus wie eine liebe, uralte Schildkröte …«
Sie steht vor dem hohen Spiegel, flicht ihre glatten Haare zu zwei dünnen Zöpfen, dreht sich um und sieht ihn an.
»Wie sehe ich aus?«
»Du siehst gut aus«, sagt Joona freundlich.
»Ja«, antwortet sie traurig. »Wie geht es deiner Mutter?«
Joona nimmt ihre Hand.
»Es geht ihr gut«, flüstert er. »Sie lässt dich grüßen.«
»Wie nett von ihr, was hat sie gesagt?«
»Dass du mich lieber vergessen solltest.«
»Tja«, erwidert Disa düster. »Damit hat sie natürlich vollkommen Recht.«
Langsam streichen ihre Finger durch seine dichten wirren Haare. Plötzlich sieht sie ihn lächelnd an, geht zum Notebook, schaltet es aus und stellt es auf die Kommode.
»Wusstest du eigentlich, dass Säuglinge in heidnischer Zeit erst als vollwertige Menschen betrachtet wurden, wenn sie an die Brust angelegt worden waren? In der Zeit zwischen Geburt und erstem Stillen erlaubte es das Gesetz, Neugeborene im Wald auszusetzen.«
»Man wurde erst durch die Entscheidung anderer zum Menschen«, sagt Joona langsam.
»Ist das nicht immer so?«
Sie öffnet ihren Kleiderschrank, hebt einen Schuhkarton heraus und holt dunkelbraune Sandaletten mit weichen Riemen und schlanken, in verschiedenen Holzsorten gemaserten Absätzen heraus.
»Neu?«, fragt Joona.
»Sergio Rossi. Ich habe sie mir selbst geschenkt, weil ich einen so unglamourösen Beruf habe«, sagt sie. »Tagein, tagaus krieche ich auf einem matschigen Acker herum.«
»Bist du immer noch draußen in Sigtuna?«
»Ja.«
»Was habt ihr da eigentlich gefunden?«
»Das erzähle ich dir beim
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