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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Nastasja
Filippowna sei schon am Morgen nach Pawlowsk zu Darja Alexejewna
gefahren, und es könne sogar sein, daß sie einige Tage dort bleibe.
Frau Filisowa war eine kleine Person mit scharfen Augen und spitzem
Gesicht, etwa vierzig Jahre alt; sie blickte ihn schlau und prüfend an.
Auf ihre Frage nach seinem Namen, die sie absichtlich in
geheimnisvollem Ton stellte, wollte ihr der Fürst zuerst keine Antwort
geben; aber er drehte sich dann doch sofort wieder um und bat sie
angelegentlich um Mitteilung seines Namens an Nastasja Filippowna. Frau
Filisowa nahm dieses dringende Verlangen mit gesteigerter
Aufmerksamkeit und außerordentlich diskreter Miene entgegen, wodurch
sie offenbar zum Ausdruck bringen wollte: »Seien Sie unbesorgt; ich
weiß Bescheid!« Der Name des Fürsten machte auf sie augenscheinlich
einen sehr starken Eindruck. Der Fürst blickte sie zerstreut an,
wendete sich um und machte sich auf den Rückweg nach seinem Gasthaus.
Aber er bot beim Hinausgehen nicht mehr dasselbe Bild wie in dem
Augenblick, als er bei Frau Filisowa geklingelt hatte. Es war mit ihm
wieder, und zwar ganz plötzlich, eine sehr große Veränderung
vorgegangen: er war wieder blaß und schwach geworden, befand sich in
starker Aufregung und schritt wie ein schwer Leidender einher; die Knie
zitterten ihm, und ein mattes, verlorenes Lächeln spielte um seine
bläulich gewordenen Lippen: sein »plötzlicher Gedanke« hatte seine
Bestätigung gefunden und sich als richtig erwiesen, und – er glaubte
wieder an seinen Dämon!
    Aber hatte er seine Bestätigung gefunden? Hatte er sich als richtig
erwiesen? Wodurch war bei ihm wieder dieses Zittern hervorgerufen,
dieser kalte Schweiß, diese seelische Finsternis und Kälte? Dadurch,
daß er soeben wieder diese »Augen« gesehen hatte? Aber er war ja aus
dem Sommergarten einzig und allein in der Absicht dorthin gegangen, sie
wiederzusehen! Darin hatte ja sein »plötzlicher Gedanke« bestanden. Er
hatte ein dringendes Verlangen verspürt, diese »Augen von vorhin«
wiederzusehen und festzustellen, ob er ihnen dort, bei diesem Haus,
wiederbegegnen werde. Das war ein krampfhaftes Verlangen bei ihm
gewesen; warum war er also jetzt so bestürzt und niedergeschlagen
darüber, daß er sie wirklich soeben gesehen hatte? Als ob er es nicht
hätte erwartet gehabt! Ja, das waren eben dieselben Augen (und daran,
daß es eben dieselben waren, konnte jetzt nicht mehr der geringste
Zweifel bestehen), die ihn am Morgen aus der Menschenmenge angefunkelt
hatten, als er aus dem Waggon der Nikolai-Bahn ausgestiegen war;
dieselben (ganz dieselben!), deren auf ihn von hinten her gerichteten
Blick er nachher aufgefangen hatte, als er sich in Rogoschins Wohnung
auf einen Stuhl setzte. Rogoschin hatte es vorhin abgestritten: »Wessen
Augen waren denn das?« hatte er mit einem verzerrten, eisigen Lächeln
gefragt. Und noch vorhin auf dem Zarskojeseloer Bahnhof, als er in den
Waggon stieg, um zu Aglaja zu fahren, und auf einmal wieder, schon zum
drittenmal an diesem Tag, diese Augen erblickte, hatte der Fürst die
größte Lust gehabt, zu Rogoschin heranzutreten und ihm zu sagen,
»wessen Augen es gewesen seien!« Aber er war aus dem Bahnhof
weggelaufen und erst vor dem Laden eines Messerschmiedes wieder zur
Besinnung gekommen, in dem Augenblick, als er dort stand und einen
Gegenstand mit einem Hirschhorngriff auf sechzig Kopeken taxierte. Ein
seltsamer, schrecklicher Dämon hatte ihn endgültig gepackt und wollte
ihn nicht mehr loslassen. Dieser Dämon hatte ihm im Sommergarten, als
er selbstvergessen unter einer Linde saß, zugeflüstert: wenn Rogoschin
es für so nötig halte, ihn vom frühen Morgen an zu verfolgen und auf
Schritt und Tritt zu beobachten, so werde er, nun er gesehen habe, daß
der Fürst nicht nach Pawlowsk fahre (was natürlich für Rogoschin eine
Erkenntnis von ausschlaggebender Bedeutung war), jedenfalls »dorthin«
gehen, zu jenem Haus in der Peterburgskaja, und ihm, dem Fürsten,
auflauern, der ihm noch am Morgen sein Ehrenwort darauf gegeben habe,
daß er sie nicht aufsuchen wolle, und daß er nicht zu diesem Zweck nach
Petersburg gekommen sei. Und nun hatte es den Fürsten krampfhaft nach
jenem Haus hingezogen; was war nun Auffälliges dabei, daß er
tatsächlich dort Rogoschin getroffen hatte? Er hatte nur einen
unglücklichen Menschen gesehen, dessen Seelenstimmung düster, aber sehr
begreiflich war. Dieser unglückliche Mensch suchte sich jetzt auch gar
nicht mehr zu verbergen. Ja,

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