Der Idiot
ruft der Anblick eines Menschen, der einen
epileptischen Anfall durchmacht, ein unerträgliches Entsetzen hervor,
das sogar etwas Mystisches an sich hat. Es läßt sich annehmen, daß ein
solches Gefühl plötzlichen Entsetzens, im Verein mit allen andern
schrecklichen Empfindungen dieses Augenblicks, Rogoschin plötzlich auf
dem Fleck erstarren ließ und dadurch den Fürsten vor dem sonst
unvermeidlichen Stoß des bereits auf ihn herabfahrenden Messers
rettete. Als dann Rogoschin sah, daß der Fürst von ihm zurücktaumelte
und plötzlich hintenüberfiel, gerade die Treppe hinunter, wobei er aus
voller Wucht mit dem Hinterkopf gegen eine Steinstufe schlug, da eilte
er, ehe er noch Zeit gefunden hatte, über den Anfall ins klare zu
kommen, spornstreichs nach unten, lief um den Daliegenden herum und
rannte fast ohne Besinnung aus dem Gasthaus hinaus.
Infolge der Krämpfe, der Zuckungen und des Umsichschlagens rutschte
der Körper des Kranken die Stufen hinab, deren nicht mehr als fünfzehn
waren, bis ganz zum Fuß der Treppe. Sehr bald, kaum fünf Minuten
nachher, wurde der Daliegende bemerkt, und es sammelte sich um ihn eine
Menge Menschen. Die große Blutlache, die sich um den Kopf gebildet
hatte, erweckte Zweifel, ob dieser Mensch sich selbst zerschlagen habe
oder ein Verbrechen vorliege. Bald jedoch durchschauten einige, daß es
ein Fall von Epilepsie war, und einer der Kellner erkannte in dem
Fürsten einen kürzlich eingetroffenen Gast. Die Aufregung kam endlich
infolge eines sehr glücklichen Umstandes zur Ruhe.
Kolja Iwolgin, der in der »Waage« hinterlassen hatte, er werde um
vier Uhr zurück sein, und statt dessen nach Pawlowsk gefahren war,
hatte es infolge einer Überlegung, die ihm plötzlich gekommen war,
abgelehnt, bei der Generalin Jepantschina zu speisen, war nach
Petersburg zurückgefahren und nach der »Waage« geeilt, wo er gegen
sieben Uhr abends eintraf. Nachdem er aus dem für ihn hinterlassenen
Billett ersehen hatte, daß der Fürst sich in der Stadt befand, eilte er
mit Benutzung der ihm in dem Billett mitgeteilten Adresse zu ihm. Als
er in dem Gasthaus erfuhr, daß der Fürst ausgegangen sei, ging er nach
unten in die Restaurationsräume, um dort zu warten, ließ sich Tee geben
und hörte dem Spiel des Orchestrions zu. Zufällig hörte er ein Gespräch
über einen Anfall mit an, den jemand soeben bekommen habe, stürzte, von
einer richtigen Ahnung erfüllt, nach der Stelle hin und erkannte den
Fürsten. Sogleich wurden alle erforderlichen Maßregeln ergriffen. Der
Fürst wurde in sein Zimmer getragen; obgleich er wieder zu sich
gekommen war, dauerte es doch sehr lange, bis er das volle Bewußtsein
wiedererlangte. Ein Arzt, der herbeigerufen war, um den verwundeten
Kopf zu untersuchen, verordnete ein Wundwasser und erklärte, daß die
Verletzungen in keiner Weise gefährlich seien. Als der Fürst (es war
darüber schon eine Stunde vergangen) endlich anfing, seine Umgebung
ordentlich zu erkennen, schaffte Kolja ihn in einem Wagen aus dem
Gasthaus zu Lebedjew. Dieser nahm den Kranken mit großer Freundlichkeit
und vielen Verbeugungen auf. Es wurde um seinetwillen auch der Umzug
nach dem Landhaus beschleunigt, und am dritten Tag befanden sich alle
schon in Pawlowsk.
Fußnoten
1 Offenbarung des Johannes, 10, 6. (A.d.Ü.)
VI
Lebedjews Landhaus war nicht groß, aber bequem und sogar hübsch. Der
zum Vermieten bestimmte Teil war besonders schön ausgestattet. In einer
ziemlich geräumigen Veranda beim Eingang von der Straße in die Wohnung
waren mehrere Orangen- und Zitronenbäume und Jasminsträucher in großen
grünen Holzkübeln aufgestellt, was nach Lebedjews Ansicht einen überaus
reizvollen Anblick bot. Einige dieser Gewächse hatte er mit dem
Landhaus zugleich erworben und war von dem Effekt, den sie in der
Veranda hervorbrachten, so entzückt gewesen, daß er unter Benutzung
einer sich bietenden Gelegenheit beschloß, zur Vervollständigung noch
eine Anzahl ebensolcher Gewächse in Kübeln auf einer Auktion zu
erstehen. Als endlich alle diese Gewächse nach dem Landhaus geschafft
und aufgestellt waren, lief Lebedjew mehrmals am Tage die Stufen der
Veranda hinab auf die Straße und bewunderte von dort aus sein
Besitztum, wobei er jedesmal im stillen die Summe erhöhte, die er dem
künftigen Mieter seines Landhauses abzuverlangen gedachte. Dem Fürsten,
der infolge der seelischen Leiden und der physischen Abgeschlagenheit
sehr schwach war, gefiel das Landhaus ausnehmend. Übrigens sah
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