Der Idiot
Sie diese Angelegenheit sogleich und
persönlich erledigen«, sagte Aglaja, die mit besonders ernstem Wesen
zum Fürsten hintrat. »Und uns allen wollen Sie, bitte, erlauben, Ihre
Zeugen zu sein. Man will Sie mit Schmutz bewerfen, Fürst; Sie müssen
sich feierlich rechtfertigen, und ich freue mich schon im voraus
herzlich für Sie.«
»Auch ich würde wünschen, daß diese garstige Prätention endlich
einmal zu Ende käme!« rief die Generalin. »Gib es ihnen ordentlich,
Fürst; schone sie nicht! Ich habe schon so viel von dieser Affäre hören
müssen, und es ist mir oft genug die Galle übergelaufen. Aber es wird
interessant sein, diese Menschen einmal anzusehen. Rufe sie herein, und
wir wollen uns wieder hinsetzen. Aglajas Rat war gut. Haben Sie von
dieser Angelegenheit etwas gehört, Fürst?« wandte sie sich an Fürst
Schtsch.
»Gewiß, ich habe davon gehört, und zwar bei Ihnen. Aber es reizt
mich ganz besonders, mir diese jungen Leute anzusehen«, erwiderte Fürst
Schtsch.
»Es sind wohl Nihilisten, nicht wahr?« fragte Lisaweta Prokofjewna.
»Nein, Nihilisten sind sie eigentlich nicht«, sagte Lebedjew
vortretend; auch er zitterte vor Aufregung; »es ist eine andere,
besondere Sorte. Mein Neffe hat mir gesagt, sie gingen weiter als die
Nihilisten. Wenn Euer Exzellenz etwa meinen, diese Leute durch Ihre
Gegenwart verlegen zu machen, so würde das ein Irrtum sein; die werden
nicht verlegen. Die Nihilisten sind doch manchmal kenntnisreiche Leute,
sogar gelehrte Leute; aber diese hier gehen weiter, weil sie vor allem
materielle Interessen im Auge haben. Es ist das eigentlich eine
Folgeerscheinung des Nihilismus, wenn auch keine unmittelbare, sondern
nur eine indirekte: sie kennen den Nihilismus nur vom Hörensagen. Diese
Leute sprechen sich nicht in einem Zeitungsartikel aus, sondern
schreiten sofort zur Tat; es ist zum Beispiel nicht davon die Rede, ob
Puschkin sinnlos ist, oder ob Rußland in seine Teile zerfallen muß;
nein, diese Menschen betrachten es jetzt geradezu als ihr Recht, wenn
sie nach etwas Verlangen tragen, vor keinem Hindernis haltzumachen, und
wenn sie acht Personen dabei abmurksen müßten. Aber, ich würde Ihnen
doch nicht raten, Fürst ...«
Indes der Fürst ging schon zur Tür, um sie den Besuchern zu öffnen.
»Sie verleumden die Leute, Lebedjew«, sagte er lächelnd; »Sie haben
sich zu sehr über Ihren Neffen geärgert. Glauben Sie ihm nicht,
Lisaweta Prokofjewna! Ich versichere Ihnen: Leute wie Gorski und
Danilow 1 sind
nur seltene Ausnahmen; diese Leute hier ... sind nur in einem Irrtum
befangen. Aber es wäre mir nicht lieb, wenn die Sache hier in Gegenwart
aller verhandelt würde. Verzeihen Sie also, Lisaweta Prokofjewna; sie
werden hereinkommen, ich werde sie Ihnen zeigen und dann wegführen.
Treten Sie näher, meine Herren!«
Was ihn beunruhigte, war vielmehr ein anderer, ihm peinlicher
Gedanke. In seinem Kopf war die Frage aufgetaucht: war nicht vielleicht
diese ganze Sache von jemandem künstlich im voraus arrangiert, gerade
zu dieser Zeit und Stunde, wo diese Zeugen zugegen waren, und zwar
vielleicht arrangiert in der Erwartung, daß sie nicht mit seinem
Triumph, sondern mit seiner Beschämung enden werde? Aber er war ganz
betrübt über diesen »ungeheuerlichen, schändlichen Argwohn«. Er müßte
ja, meinte er, vor Scham in die Erde sinken, wenn jemand erführe, daß
er so etwas denke; und in dem Augenblick, als die neuen Besucher
eintraten, war er aufrichtig bereit zu glauben, daß er in sittlicher
Hinsicht auf einem weit niedrigeren Standpunkt stehe als irgendeiner
der übrigen Anwesenden.
Es traten fünf Personen ein; vier davon waren die neuen Gäste, und
als fünfter folgte ihnen General Iwolgin, ganz ereifert, in Aufregung
und in einem starken Anfall von Redelust. »Der wenigstens ist auf
meiner Seite!« dachte der Fürst lächelnd. Kolja schlüpfte mit den
andern zusammen herein. Er sprach eifrig mit Ippolit, der zu den
Ankömmlingen gehörte; Ippolit hörte ihn an und lächelte.
Der Fürst bat die Besucher, Platz zu nehmen. Sie waren fast alle
noch ein so jugendliches, von der Volljährigkeit noch so weit
entferntes Völkchen, daß man sich über den ganzen Vorfall und die
dadurch hervorgerufene Aufregung wundern konnte. Namentlich war Iwan
Fjodorowitsch Jepantschin, der von dieser »neuen Affäre« nichts wußte
und nichts verstand, geradezu empört, als er diese junge Gesellschaft
erblickte, und hätte sicherlich irgendwie Einspruch erhoben, wenn ihn
nicht
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