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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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das zu seinem
Hofgesinde gehörte, aber eine westeuropäische Erziehung genossen hatte
(wobei selbstverständlich die Herrenrechte der damaligen Zeit der
Leibeigenschaft mit ins Spiel kamen), und als die unausbleiblichen,
nahe bevorstehenden Folgen dieses Verhältnisses sichtbar wurden, sie
möglichst schnell an einen erwerbstätigen, sogar in dienstlicher
Stellung befindlichen Mann von edlem Charakter verheiratet, der dieses
Mädchen schon lange geliebt hatte. Anfangs unterstützte er das junge
Ehepaar; aber die edle Gesinnung des Ehemannes veranlaßte diesen bald,
die weitere Annahme solcher Unterstützung abzulehnen. Es verging nun
einige Zeit, und P. vergaß allmählich das Mädchen und seinen mit ihr
erzeugten Sohn und starb dann bekanntlich, ohne testamentarische
Anordnungen zu hinterlassen. Sein Sohn, der zu einer Zeit geboren
wurde, als seine Mutter bereits in legitimer Ehe lebte, wuchs
unterdessen unter einem andern Familiennamen heran und wurde von dem
edeldenkenden Gatten seiner Mutter völlig als Sohn behandelt; aber als
er bei dessen Tod mit der kränklichen, leidenden, an den Füßen
gelähmten Mutter in einem abgelegenen Gouvernement zurückblieb, sah er
sich vollständig auf seine eigenen Mittel angewiesen. Er selbst ging
nach der Hauptstadt und verdiente sich Geld durch tägliche anständige
Arbeit, indem er in Kaufmannsfamilien Privatstunden gab und sich
dadurch zuerst als Gymnasiast, dann als Hörer der für ihn zweckmäßigen
Universitätsvorlesungen erhielt, wobei er ein höheres Ziel im Auge
hatte. Aber kann man etwa viel erwerben, wenn einem der russische
Kaufmann für die Stunde zehn Kopeken gibt und man obendrein eine
kranke, gelähmte Mutter hat? Auch als diese schließlich in dem
abgelegenen Gouvernement starb, wurde der Sohn dadurch nicht sonderlich
entlastet. Nun werfen wir die Frage auf: wie mußte unser junger Edeling
gerechterweise denken? Gewiß meinen Sie, verehrter Leser, daß er zu
sich folgendermaßen gesprochen hat: ›Ich habe mein ganzes Leben lang
von P. alle erdenklichen Wohltaten genossen; für meinen Unterhalt und
meine Erziehung, für Gouvernanten und dann in der Schweiz für die
Heilung von der Idiotie sind viele, viele Tausende draufgegangen; und
da besitze ich nun jetzt Millionen, während P.s edeldenkender Sohn, der
an den Fehltritten seines leichtsinnigen, vergeßlichen Vaters keinerlei
Schuld trägt, sich mit Privatstunden zu Tode quält. Alles, was für mich
aufgewandt wurde, hätte gerechterweise für ihn aufgewandt werden
sollen. Die für mich ausgegebenen gewaltigen Summen kamen mir in
Wirklichkeit nicht zu. Es war dies nur ein Irrtum der blinden Fortuna;
sie gehörten eigentlich dem Sohn P.s. Für ihn hätten sie verbraucht
werden sollen, nicht für mich; letzteres war nur die Ausgeburt einer
phantastischen Laune des leichtsinnigen, vergeßlichen P. Wenn ich im
vollen Sinn ein edler, feinfühliger, gerechter Mensch wäre, so müßte
ich seinem Sohn die Hälfte meiner ganzen Erbschaft abgeben; aber da ich
vor allen Dingen ein kluger Mensch bin und recht gut weiß, daß die
Sache nicht einklagbar ist, so werde ich ihm nicht die Hälfte meiner
Millionen geben. Aber allerdings würde es von meiner Seite gar zu gemein und schamlos sein‹ (der Edeling vergaß,
daß es auch nicht klug sein würde), ›wenn ich dem Sohn P.s jetzt nicht
wenigstens die Tausende zurückerstattete, die P. für die Heilung meiner
Idiotie ausgegeben hat. Das ist lediglich eine Forderung des Gewissens
und der Gerechtigkeit! Denn was wäre aus mir geworden, wenn P. mich
nicht aufgezogen, sondern statt dessen sich um seinen Sohn bekümmert
hätte?‹
    Aber nein, meine Herren! Unsere jungen Edelinge denken nicht so. Was
für Vorstellungen ihm auch der Advokat machte, der die mühevolle
Vertretung der Sache des jungen Mannes einzig und allein aus
Freundschaft zu diesem und fast wider dessen Willen, beinah gewaltsam
übernommen hatte, wie sehr er ihn auch auf die Pflichten der Ehre, des
Anstandes und der Gerechtigkeit, ja sogar auf die Gebote der
gewöhnlichen Klugheit hinwies, der Schweizer Zögling blieb
unerbittlich, und was tat er? Alles Bisherige wäre noch nichts; aber
nun kommt etwas, was wirklich unverzeihlich und durch keine
interessante Krankheit zu entschuldigen ist: dieser Millionär, der kaum
die Gamaschen seines Professors ausgezogen hatte, konnte nicht einmal
so viel kapieren, daß der edeldenkende junge Mann, der sich mit
Privatstunden quälte, ihn nicht um ein Almosen und eine

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