Der Idiot
das plötzlich einfiele:
»Ach ja, wissen Sie vielleicht, lieber Ljow
Nikolajewitsch, was das für eine Person war, die gestern unsern Jewgeni
Pawlowitsch aus dem Wagen anrief?«
»Das war Nastasja Filippowna«, antwortete der Fürst.
»Haben Sie denn noch nicht erfahren, daß sie es war? Aber wer ihre Begleiterin war, das weiß ich nicht.«
»Ja, ja, ich habe es gehört!« sagte Fürst Schtsch. »Aber was
bedeutete das, was sie ihm zurief? Ich muß gestehen, das ist mir ein
reines Rätsel ... mir und den andern.«
Fürst Schtsch. sprach offenbar in völliger Verständnislosigkeit.
»Sie hat von Wechseln Jewgeni Pawlowitschs geredet«, erwiderte der
Fürst schlicht, »die Rogoschin auf ihre Bitte von einem Wucherer
erworben habe, und hat gesagt, Rogoschin werde mit Jewgeni Pawlowitsch
Geduld haben.«
»Das habe ich gehört, das habe ich gehört, mein teurer Fürst; aber
das ist ja doch unmöglich! Jewgeni Pawlowitsch hat keine Wechsel
ausgestellt; das ist unmöglich! Bei einem solchen Vermögen ...
Allerdings ist es ihm früher einmal aus Leichtsinn begegnet, und ich
habe ihm sogar selbst aus der Klemme geholfen ... Aber bei einem
solchen Vermögen einem Wucherer Wechsel auszustellen und sich deswegen
zu beunruhigen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Auch kann er sich
nicht mit Nastasja Filippowna duzen und in solchen freundschaftlichen
Beziehungen zu ihr stehen ... das ist das allergrößte Rätsel. Er
schwört, er verstehe von der ganzen Geschichte gar nichts, und ich
glaube ihm vollkommen. Aber ich wollte doch auch Sie, lieber Fürst,
fragen, ob Sie vielleicht etwas davon wissen. Ich meine: ist
vielleicht durch irgendeinen wunderlichen Zufall ein Gerücht zu Ihren
Ohren gelangt?«
»Nein, ich weiß nichts, und ich versichere Ihnen, daß ich an der Sache in keiner Weise beteiligt bin.«
»Ach, wie wunderlich reden Sie da, Fürst! Ich erkenne Sie heute
geradezu nicht wieder! Konnte ich denn überhaupt auf den Gedanken
kommen, daß Sie an einer derartigen Sache beteiligt seien ...? Na, Sie
sind heute angegriffen.«
Er umarmte und küßte ihn.
»Was meinen Sie denn mit ›an einer derartigen Sache beteiligt‹? Ich sehe hier keine ›derartige‹ Sache.«
»Ohne Zweifel beabsichtigte diese Person unserm Jewgeni Pawlowitsch
irgendwie bei irgend etwas dadurch hinderlich zu sein, daß sie ihm vor
Zeugen Eigenschaften beilegte, die er nicht besitzt und nicht besitzen
kann«, versetzte Fürst Schtsch. in ziemlich trockenem Ton.
Fürst Ljow Nikolajewitsch wurde verlegen, fuhr aber doch fort, den
Fürsten Schtsch. unverwandt und fragend anzusehen; aber dieser schwieg
nun.
»Könnten es nicht doch einfach Wechsel sein? Könnte es sich nicht
buchstäblich so verhalten, wie gestern gesagt wurde?« murmelte Fürst
Myschkin endlich in einer Art von Ungeduld.
»Aber ich bitte Sie, sagen Sie selbst: was kann es zwischen Jewgeni
Pawlowitsch und ... ihr Gemeinsames geben, obendrein wenn dabei noch
Rogoschin ins Spiel kommt? Ich wiederhole Ihnen: er besitzt ein
kolossales Vermögen, wie mir ganz genau bekannt ist, und ein zweites
Vermögen hat er von seinem Onkel zu erwarten. Nastasja Filippowna hat
einfach ...«
Fürst Schtsch. verstummte plötzlich wieder, augenscheinlich, weil er
dem Fürsten Myschkin nichts weiter über Nastasja Filippowna sagen
mochte.
»Jedenfalls ist sie doch mit ihm bekannt?« fragte der letztere plötzlich nach einem kurzen Stillschweigen.
»Es scheint allerdings, daß das einmal der Fall gewesen ist; er ist
ein Windhund! Wenn es übrigens der Fall gewesen ist, so ist es schon
lange her; es müßte noch in früherer Zeit gewesen sein, vor zwei, drei
Jahren. Er war ja noch mit Tozki bekannt. Jetzt aber kann nichts von
der Art vorliegen, und auf dem Duzfuß können sie niemals gestanden
haben! Sie wissen ja selbst, daß auch sie die ganze Zeit her nicht hier
gewesen ist und ihr Aufenthaltsort unbekannt war. Viele wissen auch
jetzt noch nicht, daß sie wieder hier erschienen ist. Ich habe ihre
Equipage vor drei Tagen zum erstenmal gesehen.«
»Eine prächtige Equipage!« bemerkte Adelaida.
»Ja, wundervoll!«
Beide brachten übrigens beim Fortgehen dem Fürsten Ljow
Nikolajewitsch ihre durchaus freundschaftliche, ja sozusagen
geschwisterliche Gesinnung zum Ausdruck.
Aber für unseren Helden war dieser Besuch von außerordentlich hoher
Bedeutung. Allerdings hatte er auch selbst, schon seit dem
vorhergehenden Abend und vielleicht auch schon noch früher, gar vieles
geargwöhnt; aber bis zu
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