Der Idiot
eindringlicher zu machen. »Gut«,
fügte sie, sich furchtbar schämend, hinzu, »ich fühle, daß ich mich
eines schrecklich dummen Ausdrucks bedient habe. Ich habe das gesagt
... um Sie zu prüfen. Nehmen Sie an, ich hätte es nicht gesagt! Und
wenn ich Sie gekränkt habe, so verzeihen Sie mir! Bitte, sehen Sie mich
nicht gerade an; wenden Sie sich ab! Sie sagten, das sei ein sehr
unreiner Gedanke: ich habe es absichtlich gesagt, um Sie zu verletzen.
Manchmal bekomme ich selbst einen Schreck über das, was ich sagen
möchte; aber auf einmal sage ich es doch. Sie sagten soeben, Sie hätten
diesen Brief in der schwersten Stunde Ihres Lebens geschrieben ... Ich
weiß, was das für eine Stunde war«, sagte sie leise und blickte wieder
zur Erde.
»Oh, wenn Sie alles wissen könnten!«
»Ich weiß alles!« rief sie in erneuter Erregung. »Sie lebten damals
einen ganzen Monat lang in ein und derselben Wohnung mit dieser
abscheulichen Frau, mit der Sie davongegangen waren ...«
Sie errötete jetzt nicht mehr, während sie das sagte, sondern wurde
blaß; auf einmal stand sie wie geistesabwesend von der Bank auf, setzte
sich aber, zur Besinnung kommend, sogleich wieder hin; ihre Lippe
zuckte noch lange weiter. Das Schweigen dauerte etwa eine Minute lang.
Der Fürst war über diese plötzliche Heftigkeit sehr überrascht und wußte nicht, worauf er sie zurückführen sollte.
»Ich liebe Sie durchaus nicht«, sagte sie plötzlich kurz und scharf.
Der Fürst antwortete nicht; sie schwiegen wieder ungefähr eine Minute lang.
»Ich liebe Gawrila Ardalionowitsch ...«, sagte sie hastig, aber kaum hörbar und ließ den Kopf noch tiefer sinken.
»Das ist nicht wahr«, erwiderte der Fürst, ebenfalls beinah flüsternd.
»Dann lüge ich also? Es ist doch wahr, ich habe ihm mein Wort gegeben, vorgestern, auf dieser selben Bank.«
Der Fürst erschrak und dachte einen Augenblick nach.
»Das ist nicht wahr«, sagte er noch einmal in entschiedenem Ton. »Sie haben sich das alles nur ausgedacht.«
»Sehr höflich von Ihnen! Wissen Sie, er hat sich gebessert; er liebt
mich mehr als sein Leben. Er hat vor meinen Augen seine Hand verbrannt,
nur um mir zu beweisen, daß er mich mehr liebt als sein Leben.«
»Er hat seine Hand verbrannt?«
»Jawohl, seine Hand. Sie mögen es glauben oder nicht, das ist mir ganz gleich.«
Der Fürst schwieg wieder. Aglajas Worte klangen nicht scherzhaft; sie war ärgerlich.
»Wie? Hat er denn eine Kerze hierher mitgebracht, wenn das hier
vorgegangen ist? Anders kann ich mir die Sache nicht vorstellen ...«
»Jawohl ... eine Kerze. Was ist daran unwahrscheinlich?«
»Eine bloße ganze Kerze oder eine auf einem Leuchter?«
»Nun ja ... nein ... eine halbe Kerze ... ein Stümpfchen ... eine
ganze Kerze ..., das ist ja ganz egal; lassen Sie doch das Gerede ...!
Meinetwegen kann er auch Zündhölzer mitgebracht haben! Er zündete die
Kerze an und hielt eine ganze halbe Stunde lang den Finger in die
Flamme; ist das etwa nicht möglich?«
»Ich habe ihn gestern gesehen; seine Finger sind ganz heil.«
Aglaja brach nun auf einmal ganz wie ein Kind in ein prustendes Gelächter aus.
»Wissen Sie, warum ich eben gelogen habe?« wandte sie sich dann mit
der kindlichen Zutraulichkeit an den Fürsten; ihre Lippen zitterten
immer noch vor Lachen. »Deswegen: wenn man lügt und dabei in
geschickter Weise etwas Ungewöhnliches, Außerordentliches einflicht,
wissen Sie, etwas, was sehr selten ist oder überhaupt nicht vorkommt,
dann erscheint die Lüge weit glaubhafter. Das habe ich früher
beobachtet. Es ist mir nur deshalb mißglückt, weil ich es nicht richtig
verstanden habe ...« Auf einmal machte sie wieder ein finsteres
Gesicht, wie wenn ihr etwas einfiele.
»Wenn ich damals«, sagte sie, indem sie sich zu dem Fürsten
hinwandte und ihn mit ernster, ja trauriger Miene ansah, »wenn ich
Ihnen damals das Gedicht vom ›armen Ritter‹ deklamiert habe, so wollte
ich Sie damit zwar für einiges loben, zugleich aber wollte ich auch Ihr
Benehmen in gewisser Hinsicht als Torheit hinstellen und Ihnen
beweisen, daß ich alles wußte ...«
»Sie sind sehr ungerecht gegen mich und gegen jene unglückliche
Frau, von der Sie soeben einen so schrecklichen Ausdruck gebrauchten,
Aglaja.«
»Ich habe den Ausdruck deswegen gebraucht, weil ich alles weiß! Ich
weiß, daß Sie vor einem halben Jahr vor aller Ohren ihr Ihre Hand
antrugen. Unterbrechen Sie mich nicht; Sie sehen, ich führe nur
Tatsachen an, ohne eine
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