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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Wissen
Sie, in manchen Fällen ist es das beste, wenn man gar nichts sagt. Oh,
ich liebte sie; ich liebte sie sehr ... aber dann ... dann ... dann hat
sie alles erraten.«
    »Was hat sie erraten?«
    »Daß ich nur Mitleid mit ihr habe, und daß ich ... sie nicht mehr liebe.«
    »Woher wissen Sie, ob sie sich nicht wirklich in jenen ... Gutsbesitzer verliebt hatte, mit dem sie davonging?«
    »Nein, das war nicht der Fall; ich weiß alles: sie machte sich nur über ihn lustig.«
    »Und hat sie sich niemals über Sie lustig gemacht?«
    »N-nein. Sie hat vor Ärger über mich gelacht; oh, sie hat mir damals
im Zorn schreckliche Vorwürfe gemacht – und hat selbst furchtbar dabei
gelitten! Aber ... dann ... oh, erinnern Sie mich nicht daran, erinnern
Sie mich nicht daran!«
    Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
    »Wissen Sie wohl, daß sie fast täglich an mich Briefe schreibt?«
    »Also das ist wahr!« rief der Fürst in starker Aufregung.
    »Ich hatte es gehört, wollte es aber immer noch nicht glauben.«
    »Von wem hatten Sie es gehört?« fragte Aglaja, erschrocken zusammenfahrend.
    »Rogoschin sagte es mir gestern, nur nicht sehr deutlich.«
    »Gestern? Gestern morgen? Wann gestern? Vor dem Konzert oder nachher?«
    »Nachher, am Abend, kurz vor Mitternacht.«
    »Ah so! Nun, wenn es Rogoschin war ... Aber wissen Sie, was sie mir in diesen Briefen schreibt?«
    »Ich werde mich über nichts wundern; sie ist geisteskrank.«
    »Da sind die Briefe.« Aglaja zog drei in Kuverts steckende Briefe
aus der Tasche und warf sie vor den Fürsten hin. »Schon eine ganze
Woche lang redet sie mir zu, bittet und beschwört mich, ich möchte Sie
heiraten. Sie ... nun ja, sie ist klug, obwohl sie geisteskrank ist,
und Sie sagen ganz richtig, daß sie viel klüger ist als ich ... sie
schreibt mir, sie habe sich in mich verliebt; sie suche täglich eine
Gelegenheit, mich zu sehen, wenn auch nur von weitem. Sie schreibt mir,
Sie liebten mich; sie wisse das, sie habe es schon längst bemerkt, und
Sie hätten mit ihr dort von mir gesprochen. Sie will Sie glücklich
sehen; sie ist überzeugt, daß nur ich Sie glücklich machen kann ... Sie
schreibt so wild ... so sonderbar ... Ich habe die Briefe niemandem
gezeigt; ich habe damit auf Sie gewartet; wissen Sie vielleicht, was
das alles zu bedeuten hat? Haben Sie keine Vermutung?«
    »Das ist Irrsinn, ein Beweis ihrer Geisteskrankheit«, sagte der Fürst, und seine Lippen bebten.
    »Sie weinen doch nicht?«
    »Nein, Aglaja, nein, ich weine nicht«, erwiderte der Fürst, sie anblickend.
    »Was soll ich denn dabei tun? Wozu raten Sie mir? Ich darf doch solche Briefe nicht länger annehmen!«
    »Oh, unternehmen Sie nichts gegen diese Frau, ich flehe Sie an!«
rief der Fürst. »Was haben Sie mit dieser geistigen Dunkelheit zu tun;
ich werde alles aufbieten, damit sie nicht mehr an Sie schreibt.«
    »Wenn es so steht, dann sind Sie ein herzloser Mensch!« rief Aglaja.
»Sehen Sie denn nicht, daß sie nicht in mich verliebt ist, sondern daß
sie Sie liebt, einzig und allein Sie? Haben Sie wirklich alle
Empfindungen ihrer Seele erkennen können und nur dieses Gefühl nicht
bemerkt? Wissen Sie, was hier vorliegt, was diese Briefe bedeuten? Das
ist Eifersucht; das ist mehr als Eifersucht! Diese Frau ... glauben Sie
etwa, daß sie wirklich Rogoschin heiraten wird, wie sie hier in den
Briefen schreibt? Wenn wir uns trauen lassen, wird sie sich am nächsten
Tag das Leben nehmen!«
    Der Fürst fuhr zusammen; das Herz wollte ihm stillstehen. Aber er
blickte Aglaja erstaunt an: es war für ihn eine sonderbare Empfindung
zu erkennen, daß dieses Kind schon längst ein Weib war.
    »Gott weiß es, Aglaja, daß ich mein Leben opfern würde, um ihr die
Ruhe der Seele wiederzugeben und sie glücklich zu machen; aber ... ich
kann sie nicht mehr lieben, und sie weiß das!«
    »So bringen Sie sich doch zum Opfer; das steht Ihnen ja so gut! Sie
sind ja ein so großer Wohltäter. Und sagen Sie nicht ›Aglaja‹, zu mir;
Sie haben auch vorhin schon einfach ›Aglaja‹ zu mir gesagt ... Sie
müssen ihr zu einem neuen Leben behilflich sein, Sie sind dazu
verpflichtet; Sie müssen mit ihr wieder wegreisen, um ihrem Herzen
Frieden und Ruhe wiederzugeben. Und Sie lieben sie ja auch!«
    »Ich konnte mich nicht in dieser Weise zum Opfer bringen, obgleich
ich es einmal gewollt habe und ... vielleicht auch jetzt möchte. Aber
ich weiß bestimmt, daß sie mit mir zugrundegehen würde, und deshalb
verlasse ich sie. Ich

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