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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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... Sagen Sie, Sie sind wohl ein sehr
gelehrter Mann?«
    »Oh, durchaus nicht!«
    »Das ist schade; ich hatte es geglaubt ...; wie bin ich nur dazu
gekommen, es zu glauben? Aber Sie werden dabei doch mein Leiter sein;
denn ich habe Sie ausgewählt.«
    »Das ist eine Torheit, Aglaja Iwanowna.«
    »Ich will von zu Hause weglaufen, ich will es!« rief sie, und ihre
Augen funkelten wieder auf. »Wenn Sie mir Ihre Beihilfe versagen, so
heirate ich Gawrila Ardalionowitsch. Ich will nicht, daß man mich zu
Hause für ein abscheuliches Frauenzimmer hält und mir für Gott weiß was
alles die Schuld gibt.«
    »Sind Sie bei Sinnen!?« rief der Fürst und sprang beinah von der Bank in die Höhe. »Wer beschuldigt sie? Wer tut so etwas?«
    »Alle bei uns zu Hause, meine Mutter, meine Schwestern, mein Vater,
Fürst Schtsch., sogar Ihr abscheulicher Kolja! Und wenn sie es nicht
geradeheraus sagen, so denken Sie es wenigstens. Ich habe es ihnen
allen ins Gesicht gesagt, sowohl meiner Mutter als auch meinem Vater.
Mama war infolgedessen einen ganzen Tag krank, und am andern Tag sagten
mir Alexandra und Papa, ich wüßte selbst nicht, was ich
zusammenphantasierte, und was für Ausdrücke ich gebrauchte. Aber ich
habe ihnen sehr entschieden geantwortet, ich verstände schon alles,
alle Ausdrücke, und ich wäre kein kleines Kind mehr, und ich hätte
schon vor zwei Jahren absichtlich zwei Romane von Paul de Kock gelesen,
um alles zu erfahren. Als Mama das hörte, fiel sie beinahe in Ohnmacht.«
    Dem Fürsten ging plötzlich ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. Er blickte Aglaja prüfend an und lächelte.
    Er konnte gar nicht glauben, daß dasselbe hochmütige Mädchen vor ihm
saß, das ihm früher einmal mit so stolzer, hochfahrender Miene Gawrila
Ardalionowitschs Brief zum Lesen gegeben hatte. Er vermochte nicht zu
begreifen, wie in diesem hochmütigen, abweisenden schönen Mädchen ein
solches Kind stecken konnte, ein Kind, das vielleicht in Wirklichkeit
auch jetzt noch nicht »alle Ausdrücke« verstand.
    »Haben Sie immer nur im Elternhaus gelebt, Aglaja Iwanowna?« fragte
er. »Ich meine, sind Sie nie in einer Schule gewesen, haben Sie nie ein
Unterrichtsinstitut besucht?«
    »Nein, niemals; ich habe immer wie in einer verkorkten Flasche zu
Hause gesessen und werde direkt aus der Flasche heiraten; warum lächeln
Sie wieder? Ich mache die Wahrnehmung, daß anscheinend auch Sie sich
über mich lustig machen und sich zur Gegenpartei halten«, fügte sie,
finster die Stirn runzelnd, hinzu. »Machen Sie mich nicht ärgerlich;
ich weiß sowieso schon nicht, was in meinem Kopf vorgeht ... Ich bin
überzeugt, Sie sind in dem festen Glauben hierhergekommen, daß ich in
Sie verliebt wäre und Sie zu einem Rendezvous bestellt hätte«, sagte
sie in gereiztem Ton.
    »Ich habe das gestern wirklich befürchtet«, versetzte der Fürst in
unbedachtsamer Offenherzigkeit (er war sehr verwirrt). »Aber heute bin
ich überzeugt, daß Sie ...«
    »Wie!« rief Aglaja, und ihre Unterlippe fing auf einmal an zu
zittern. »Sie haben befürchtet, daß ich ... Sie haben zu denken gewagt,
daß ich ... O Gott! Sie haben vielleicht geargwöhnt, ich hätte Sie mit
der Absicht hierher bestellt, Sie in meine Netze zu locken, damit man
uns dann hier zusammen überraschte und Sie nötigte, mich zu heiraten
...«
    »Aglaja Iwanowna! Schämen Sie sich denn nicht? Wie konnte nur ein so
unreiner Gedanke in Ihrem reinen, unschuldigen Herzen entstehen? Ich
möchte darauf wetten, daß Sie selbst kein Wort von dem, was Sie eben
sagten, für wahr halten ... Sie wissen selbst nicht, was Sie reden!«
    Aglaja saß mit beharrlich gesenktem Kopf da, wie wenn sie selbst über das, was sie gesagt hatte, einen Schreck bekommen hätte.
    »Ich schäme mich ganz und gar nicht«, murmelte sie.
    »Woher wissen Sie, daß ich ein unschuldiges Herz habe? Wie konnten Sie wagen, mir damals den Liebesbrief zu schicken?«
    »Einen Liebesbrief? Mein Brief ein Liebesbrief! Das war ein höchst
respektvoller Brief; was in diesem Brief stand, das war meinem Herzen
in der schwersten Stunde meines Lebens entquollen! Ich erinnerte mich
damals Ihrer wie einer Lichtgestalt ... ich ...«
    »Nun gut, gut«, unterbrach sie ihn, aber in ganz verändertem Ton,
aus welchem man tiefe Reue und Angst heraushörte; sie bog sich sogar zu
ihm hin, wobei sie es aber immer noch vermied, ihn gerade anzusehen,
und war nahe daran, ihn an der Schulter zu berühren, um ihre Bitte, daß
er ihr nicht böse sein möge, noch

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