Der Idiot
Liebe zu verdienen; das sind doch sehr gute Gefühle; nur daß die
Sache einen ganz andern Ausgang nahm; das kam von seiner Krankheit und
noch aus einem andern Grund her! Manche Menschen haben eben immer in
allem Glück, während andern alles mißlingt ...«
»Das haben Sie gewiß mit Bezug auf sich selbst hinzugefügt?« bemerkte Aglaja.
»Allerdings«, antwortete der Fürst, ohne die in der Frage liegende Schadenfreude zu beachten.
»Aber an Ihrer Stelle wäre ich hier doch nicht eingeschlafen. Aber
wohin Sie nur kommen, da schlafen Sie auch gleich ein; das ist gar
nicht hübsch von Ihnen.«
»Ich habe ja die ganze Nacht nicht geschlafen, und dann bin ich immerzu umhergewandert; ich war auf dem Musikplatz.«
»Auf welchem Musikplatz?«
»Da, wo gestern konzertiert wurde; und dann bin ich hierhergekommen,
habe mich hingesetzt, vielerlei überlegt und bin eingeschlafen.«
»Ah, so ist das! Das ändert die Sache zu Ihren Gunsten ... Aber warum sind Sie nach dem Musikplatz gegangen?«
»Das weiß ich nicht; ich hatte dabei keine besondere Absicht ...«
»Gut, gut, davon ein andermal; Sie unterbrechen mich immer, und was
geht es mich an, daß Sie nach dem Musikplatz gegangen sind? Von was für
einer Frau haben Sie denn geträumt?«
»Von ... von ... Sie haben sie gesehen ...«
»Ich verstehe ... verstehe sehr wohl. Sie haben sie also sehr ...
Wie haben Sie sie denn im Traum gesehen, in welcher Gestalt? Übrigens
will ich es gar nicht wissen«, fügte sie, plötzlich abbrechend, in
ärgerlichem Ton hinzu. »Unterbrechen Sie mich nicht ...«
Sie wartete ein wenig, wie wenn sie sich ein Herz fassen wollte oder ihren Ärger zu überwinden suchte.
»Der Grund, weswegen ich Sie herbestellt habe, ist der: ich möchte
Ihnen den Vorschlag machen, mein Freund zu sein. Warum sehen Sie mich
auf einmal so starr an?« fügte sie beinahe zornig hinzu.
Der Fürst blickte sie in diesem Augenblick tatsächlich sehr
aufmerksam an, da er bemerkte, daß sie wieder anfing, furchtbar rot zu
werden. Sie schien in solchen Fällen, je mehr sie errötete, sich um so
mehr über sich zu ärgern, was in ihren blitzenden Augen deutlich zum
Ausdruck kam; gewöhnlich übertrug sie dann unmittelbar darauf ihren
Zorn auf denjenigen, mit dem sie sprach, mochte diesen nun eine Schuld
treffen oder nicht, und fing an, sich mit ihm zu streiten. Da sie ihr
scheues Wesen kannte und wußte, wie leicht sie sich schämte, so
beteiligte sie sich gewöhnlich an dem Gespräch nur wenig und war
schweigsamer als ihre Schwestern, mitunter sogar im Übermaß. Wenn sie,
besonders in heiklen Fällen, schlechterdings nicht umhin konnte zu
reden, so tat sie das zunächst in sehr hochmütiger und gewissermaßen
herausfordernder Weise. Sie fühlte es immer vorher, wenn sie anfangen
wollte zu erröten.
»Sie wollen meinen Vorschlag vielleicht nicht annehmen?« fragte sie und blickte dabei den Fürsten hochmütig an.
»O doch, ich will ihn annehmen; nur ist das gar nicht erforderlich
... ich meine, ich habe nie geglaubt, daß man einen solchen Vorschlag
zu machen brauchte«, erwiderte der Fürst verlegen.
»Aber was haben Sie denn eigentlich gedacht, weswegen ich Sie
hierherbestellt hätte? Was machen Sie sich denn für Vorstellungen? Sie
halten mich vielleicht für eine kleine Närrin, wie sie das bei mir zu
Hause alle tun?«
»Ich habe nicht gewußt, daß man Sie für eine Närrin hält; ich ... ich halte Sie nicht dafür.«
»Sie halten mich nicht dafür? Das ist sehr verständig von Ihnen. Und
namentlich ist es sehr verständig von Ihnen, daß Sie es sagen.«
»Meiner Ansicht nach sind Sie sogar vielleicht mitunter sehr
verständig«, fuhr der Fürst fort. »Sie haben vorhin einen sehr
verständigen Gedanken ausgesprochen. Sie sagten in bezug auf meine
zweifelnde Beurteilung Ippolits: ›Die Wahrheit ist Ihnen alles, und
darüber werden Sie ungerecht.‹ Das hat sich mir eingeprägt, und darüber
denke ich nach.«
Aglaja wurde auf einmal dunkelrot vor Freude. Alle
Gefühlsveränderungen vollzogen sich bei ihr mit großer Offenheit und
außerordentlicher Schnelligkeit. Der Fürst freute sich ebenfalls und
lachte sogar vor Vergnügen, indem er sie anblickte.
»So hören Sie denn«, begann sie wieder, »ich habe lange auf Sie
gewartet, um Ihnen das alles zu erzählen, gleich von der Zeit an, wo
Sie mir von dort den Brief geschrieben hatten, und sogar schon früher
... Die Hälfte haben Sie von mir schon gestern gehört: ich halte Sie
für den ehrlichsten
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