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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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man meinen konnte, er sei ein ganz anderer Mensch
geworden wie früher. Es beunruhigte ihn auch, daß der Alte in den
letzten drei Tagen ganz aufgehört hatte zu trinken. Er wußte, daß er
sich mit Lebedjew und dem Fürsten veruneinigt und sogar gezankt hatte.
Kolja war soeben mit einem halben Stof Branntwein nach Hause
zurückgekehrt, das er für sein eigenes Geld gekauft hatte.
    »Wirklich, Mama«, hatte er noch oben zu Nina Alexandrowna gesagt,
»wirklich, mag er lieber trinken! Er hat jetzt schon seit drei Tagen
keinen Branntwein angerührt; er muß einen stillen Kummer haben.
Wirklich, wir wollen ihn lieber trinken lassen; ich habe ihm ja auch
ins Schuldgefängnis Branntwein gebracht ...«
    Der General öffnete die Tür sperrangelweit und stellte sich, zitternd vor Entrüstung, auf die Schwelle.
    »Mein Herr!« schrie er mit donnernder Stimme seinem Schwiegersohn
Ptizyn zu. »Wenn Sie tatsächlich beschlossen haben, einen
achtungswerten alten Mann, Ihren Vater, das heißt wenigstens den Vater
Ihrer Frau, der seinem Kaiser treu gedient hat, so einem Milchbart und
Atheisten aufzuopfern, so wird mein Fuß von dieser Stunde an die
Schwelle Ihres Hauses nie wieder betreten. Wählen Sie, mein Herr,
wählen Sie unverzüglich: entweder ich oder dieser ... dieser Bohrer!
Ja, dieser Bohrer! Der Ausdruck ist mir zufällig in den Mund gekommen;
aber dieser Mensch ist ein Bohrer! Denn er bohrt in meiner Seele herum
wie ein Bohrer, ohne allen Respekt ... ja, wie ein Bohrer!«
    »Bin ich nicht eher ein Pfropfenzieher?« fragte Ippolit.
    »Nein, kein Pfropfenzieher; denn du hast einen General vor dir und
keine Flasche. Ich besitze Orden und Ehrenzeichen; aber du, du hast
nichts, gar nichts. Entweder er oder ich! Entscheiden Sie sich, mein
Herr, sofort, sofort!« schrie er Ptizyn wieder wütend an.
    In diesem Augenblick stellte ihm Kolja einen Stuhl hin, und er sank fast ganz erschöpft auf ihn nieder.
    »Es wäre wirklich das beste, wenn Sie sich schlafen legten«, murmelte Ptizyn, der ganz betäubt war.
    »Er droht noch!« sagte Ganja halblaut zu seiner Schwester.
    »Schlafen legen!« schrie der General. »Ich bin nicht betrunken, mein
Herr; Sie beleidigen mich. Ich sehe«, fuhr er, wieder aufstehend, fort,
»ich sehe, daß hier alle gegen mich sind, alle. Genug! Ich werde
fortgehen ... Aber wissen Sie, mein Herr, wissen Sie ...«
    Man ließ ihn nicht zu Ende reden und veranlaßte ihn, sich wieder
hinzusetzen; man bat ihn, sich zu beruhigen. Ganja ging wütend in eine
Ecke. Nina Alexandrowna zitterte und weinte.
    »Aber was habe ich ihm denn getan? Worüber beklagt er sich denn?« rief Ippolit grinsend.
    »Sie hätten ihm nichts getan?« sagte Nina Alexandrowna. »Es ist von
Ihnen eine besondere Schändlichkeit und Unmenschlichkeit, einen alten
Mann zu quälen ... und noch dazu in Ihrer Lage.«
    »Erstens, von welcher Art ist denn meine Lage? Ich schätze Sie, gerade Sie persönlich, sehr hoch; aber ...«
    »Er ist ein Bohrer!« schrie der General; »er bohrt in meiner Seele
und in meinem Herzen herum! Er will, daß ich an den Atheismus glauben
soll! Wisse, du Milchbart, daß ich schon mit Ehren überschüttet war,
als du noch gar nicht geboren warst! Du bist weiter nichts als ein
neidischer Wurm, der in zwei Stücke zerrissen ist und hustet ... und
vor Bosheit und Unglauben stirbt ... Warum hat dich Ganja bloß hierher
gebracht? Alle sind sie gegen mich, von den Fremden angefangen bis zu
meinem eigenen Sohn!«
    »So hören Sie doch auf mit dem falschen Pathos!« rief Ganja. »Sie
sollten nicht in der ganzen Stadt Schande über uns bringen; das wäre
besser!«
    »Wie? Ich bringe Schande über dich, du Milchbart? Über dich? Ich
kann dir nur Ehre bringen, aber keine Unehre!« Er schrie und ließ sich
nicht mehr halten; aber auch Gawrila Ardalionowitsch hatte offenbar
alle Selbstbeherrschung verloren.
    »Sie reden noch von Ehre!« rief er boshaft.
    »Was hast du gesagt?« donnerte der General, der blaß wurde und einen Schritt auf ihn zu trat.
    »Ich brauche ja nur den Mund aufzutun, um ...«, schrie Ganja, ohne den Satz zu Ende zu sprechen.
    Beide standen einander gegenüber; sie zitterten vor Wut, besonders Ganja.
    »Ganja, was sprichst du da!« rief Nina Alexandrowna und stürzte auf ihren Sohn zu, um ihn aufzuhalten.
    »So ein törichtes Gerede von allen Seiten!« sagte Warja entrüstet in
scharfem Ton. »Hören Sie auf, Mama!« fügte sie hinzu und faßte ihre
Mutter an.
    »Ich schone Sie nur um der Mutter willen!« rief

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