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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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angerichtet!« sagte Warja zu ihrem Bruder.
»Er wird am Ende wieder dorthin gehen. Welche Schande! Welche Schande!«
    »Er hätte nicht stehlen sollen!« schrie Ganja, der beinah vor
Ingrimm erstickte; plötzlich begegnete sein Blick dem Blick Ippolits,
und Ganja fing fast an zu zittern. »Sie aber, mein Herr«, schrie er,
»sollten nicht vergessen, daß Sie hier in einem fremden Haus sind und
... Gastfreundschaft genießen, und sollten nicht einen alten Mann
reizen, der offenbar den Verstand verloren hat ...«
    Ippolit war ebenfalls zusammengefahren, hatte aber sofort die Herrschaft über sich wiedergewonnen.
    »Ich kann Ihnen doch nicht ganz zustimmen, wenn Sie meinen, daß Ihr
Papa den Verstand verloren hat«, antwortete er ruhig. »Es scheint mir
im Gegenteil, daß sein Verstand in der letzten Zeit sogar zugenommen
hat, wahrhaftig; glauben Sie es nicht? Er ist so vorsichtig und
argwöhnisch geworden; immer sucht er einen auszuforschen; jedes Wort
wägt er ab ... daß er mit mir von diesem Kapiton zu reden anfing, dabei
hatte er eine besondere Absicht; stellen Sie sich nur vor: er wollte
mich darauf bringen, daß ...«
    »Zum Teufel, was kümmert es mich, worauf er Sie bringen wollte! Ich
bitte Sie, mir gegenüber keine listigen, schlauen Kunstgriffe zur
Anwendung zu bringen, mein Herr!« knirschte Ganja. »Wenn Sie
gleichfalls den wahren Grund kennen, weshalb der Alte sich in diesem
Zustand befindet (und Sie haben in diesen fünf Tagen so um mich
herumspioniert, daß Sie ihn wahrscheinlich kennen), so sollten Sie doch
den Unglücklichen nicht reizen und meine Mutter nicht durch
Übertreibung der Geschichte quälen; denn die ganze Geschichte ist
dummes Zeug, nur Gerede Betrunkener, weiter nichts, Gerede, das durch
nichts bewiesen ist, und aus dem ich mir nicht einen Pfifferling mache
... Aber Sie müssen immer spionieren und giftige Reden führen, weil Sie
... weil Sie ...«
    »Weil ich ein Bohrer bin«, fiel Ippolit lächelnd ein.
    »Weil Sie ein gemeines Subjekt sind. Eine halbe Stunde lang haben
Sie die Gesellschaft gepeinigt, in der Meinung, Sie könnten sie dadurch
erschrecken, daß Sie sich mit Ihrer ungeladenen Pistole erschössen, mit
der Sie ein so schmachvolles Fiasko machten, Sie erfolgloser
Selbstmörder, Sie übergelaufene Galle auf zwei Beinen. Ich habe Ihnen
Gastfreundschaft gewährt, Sie sind hier dick geworden, haben aufgehört
zu husten, und nun danken Sie es mir so ...«
    »Nur wenige Worte, wenn Sie erlauben; ich wohne bei Warwara
Ardalionowna und nicht bei Ihnen; Sie haben mir keinerlei
Gastfreundschaft erwiesen; ich glaube sogar, daß Sie selbst Herrn
Ptizyns Gastfreundschaft genießen. Vor vier Tagen habe ich meine ich
meine Mutter gebeten, in Pawlowsk eine Wohnung für mich zu suchen und
selbst hierher überzusiedeln, weil ich mich hier tatsächlich wohler
fühle, obgleich ich keineswegs dicker geworden bin und immer noch
huste. Meine Mutter hat mich gestern abend benachrichtigt, daß die
Wohnung bereit sei, und ich beeile mich meinerseits, Ihnen mitzuteilen,
daß ich mich noch heute bei Ihrer Mama und bei Ihrer Schwester bedanken
und in meine eigene Wohnung übersiedeln werde, wozu ich mich schon
gestern abend entschlossen habe. Entschuldigen Sie, ich habe Sie
unterbrochen; Sie wollten, wie es scheint, noch vieles sagen.«
    »Oh, wenn es so ist ...«, begann Ganja zitternd.
    »Wenn es so ist, so gestatten Sie, daß ich mich setze«, fügte
Ippolit hinzu, indem er sich mit größter Seelenruhe auf den Stuhl
niederließ, auf dem der General gesessen hatte. »Ich bin ja doch krank.
Nun, jetzt bin ich bereit, Ihnen zuzuhören, um so mehr als dies unser
letztes Gespräch und vielleicht sogar unser letztes Zusammensein sein
wird.«
    Ganja fing auf einmal an, sich zu schämen.
    »Sie können mir glauben, daß ich mich nicht dazu erniedrigen werde,
mit Ihnen gleichsam abzurechnen«, sagte er; »und wenn Sie ...«
    »Es hat keinen Zweck, daß Sie sich aufs hohe Pferd setzen«,
unterbrach ihn Ippolit. »Ich meinerseits habe mir schon gleich am
ersten Tag, nachdem ich hierher übergesiedelt war, vorgenommen, mir
nicht das Vergnügen zu versagen, Ihnen beim Abschied mit vollster
Offenheit meine Meinung zu sagen. Ich beabsichtige, dies eben jetzt zu
tun, selbstverständlich nach Ihnen.«
    »Und ich ersuche Sie, dieses Zimmer zu verlassen.«
    »Reden Sie lieber; sonst werden Sie bereuen, sich nicht ausgesprochen zu haben.«
    »Hören Sie auf, Ippolit; das alles ist so unwürdig; tun Sie mir den

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