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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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völlig durchschaut. Von diesem
Diebstahl aber hat er durch seine eigene Mutter, die Hauptmannsfrau,
gehört. Wenn der Alte sich zu einer solchen Tat hat entschließen
können, so hat er es um der Hauptmannsfrau willen getan. Der Junge hat
mir auf einmal ohne äußeren Anlaß mitgeteilt, der General habe seiner
Mutter vierhundert Rubel versprochen; das hat er mir ohne äußeren Anlaß
gesagt und ohne alle Umschweife. Da ist mir alles klargeworden. Und
dabei hat er mir mit einem ganz besonderen Genuß in die Augen gesehen;
und unserer Mama hat er es sicherlich ebenfalls gesagt, nur weil es ihm
Vergnügen macht, ihr das Herz zu zerreißen. Und sage mir um alles in
der Welt, warum stirbt er nicht? Er hat sich doch verpflichtet, in drei
Wochen zu sterben, und nun hat er hier noch angefangen, dick zu werden!
Er hört auf zu husten; gestern abend hat er selbst gesagt, er habe seit
zwei Tagen kein Blut mehr gehustet.«
    »Jage ihn weg!«
    »Ich hasse ihn nicht, ich verachte ihn«, erwiderte Ganja stolz. »Nun
ja, ja, ich gebe zu, daß ich ihn auch hasse!« rief er dann plötzlich in
maßloser Wut. »Und das werde ich ihm ins Gesicht sagen, wenn er auf
seinem Sterbebett im Verscheiden liegen wird! Wenn du seine Beichte
gelesen hättest – o Gott, was für eine naive Frechheit! Das ist ja der
Leutnant Pirogow in der Färbung der Trägödie, und vor allen Dingen ein
unreifer Bube! Oh, mit welchem Genuß hätte ich ihn damals
durchgeprügelt, namentlich um ihn in Erstaunen zu versetzen! Jetzt
rächt er sich an allen dafür, daß ihm sein Selbstmord damals nicht
gelungen ist ... Aber was ist das? Das ist ja schon wieder Spektakel!
Ja, was hat denn das zu bedeuten? Ich kann das schließlich doch nicht
länger dulden. Ptizyn!« rief er dem ins Zimmer tretenden Ptizyn zu.
»Was ist denn das? Wie weit wird denn dieser Unfug bei uns noch gehen?
Das ... das ...«
    Aber der Lärm kam schnell näher; die Tür wurde aufgerissen, und der
alte Iwolgin, vor Zorn dunkelrot und zitternd, stürzte ganz außer sich
ebenfalls auf Ptizyn los. Dem Alten folgten Nina Alexandrowna, Kolja
und hinter allen Ippolit.
Fußnoten
    1 Eine Person in Gogols Lustspiel »Die Heirat«. (A.d.Ü.)
    2 In der »Arabeske«: »Der Newski-Prospekt«. (A.d.Ü.)

II
    Ippolit war schon vor fünf Tagen in Ptizyns Haus übergesiedelt. Das
hatte sich in ganz natürlicher Weise so gemacht, ohne viele Worte und
ohne irgendwelches Zerwürfnis zwischen ihm und dem Fürsten; sie hatten
sich nicht gezankt, sondern waren sogar äußerlich als gute Freunde
voneinander geschieden. Gawrila Ardalionowitsch, der an dem damaligen
Abend eine so feindliche Haltung gegen Ippolit angenommen hatte, war
schon am dritten Tag nach jenem Ereignis gekommen, um den Kranken zu
besuchen, wobei er sich wahrscheinlich durch irgendeinen Einfall, der
ihm plötzlich gekommen war, leiten ließ. Aus irgendeinem Grund hatte
auch Rogoschin angefangen, dem Kranken Besuche zu machen. Der Fürst war
in der ersten Zeit der Meinung gewesen, daß es für den »armen Knaben«
sogar das beste sein würde, wenn er aus seinem Haus wegzöge. Aber schon
während seines Umzugs hatte sich Ippolit dahin geäußert, er siedele zu
Ptizyn über, »der so freundlich sei, ihm Unterkunft zu gewähren«, und
hatte wie mit Absicht niemals gesagt, er ziehe zu Ganja, obgleich
gerade Ganja darauf gedrungen hatte, daß er ins Haus aufgenommen wurde.
Ganja hatte das gleich damals beachtet, es übelgenommen und sich ins
Gedächtnis eingeprägt.
    Er hatte recht, als er zu seiner Schwester sagte, daß der Kranke
sich erholt habe. Tatsächlich ging es Ippolit etwas besser als vorher,
was man ihm auf den ersten Blick ansehen konnte. Er trat langsam in das
Zimmer ein, hinter den andern, mit einem spöttischen, häßlichen Lächeln
auf dem Gesicht. Nina Alexandrowna sah sehr erschrocken aus. (Sie hatte
sich im letzten halben Jahr sehr verändert, indem sie stark abgemagert
war; seit sie ihre Tochter verheiratet hatte und zu ihr gezogen war,
hatte sie fast ganz aufgehört, sich äußerlich in die Angelegenheiten
ihrer Kinder hineinzumischen.) Koljas Miene war sorgenvoll und zeigte
eine verständnislose Verwunderung; er begriff vieles von den »irren
Reden« des Generals nicht, wie er sich ausdrückte, und das war auch
natürlich, da er die Hauptursachen dieser neuen Aufregung in der
Familie nicht kannte. Aber es war ihm klar, daß der Vater jetzt
stündlich und überall dermaßen krakeelte und sich auf einmal so stark
verändert hatte, daß

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