Der Idiot
daran gefunden hatte, auch
Kolja in derselben Weise aufzuklären. Gut möglich, daß er gar nicht ein
boshafter »Bube« von der Art war, wie ihn Ganja in seinem Gespräch mit
der Schwester geschildert hatte, sondern in anderer Weise boshaft; und
er hatte auch Nina Alexandrowna eine gewisse von ihm gemachte
Beobachtung wohl kaum einzig und allein zu dem Zweck mitgeteilt, »ihr
das Herz zu zerreißen«. Wir wollen nicht vergessen, daß die Motive der
menschlichen Handlungen gewöhnlich unendlich viel komplizierter und
mannigfaltiger sind, als wir nachher immer glauben, und sich nur selten
mit Sicherheit angeben lassen. Für den Erzähler ist es manchmal das
beste, sich auf die einfache Darlegung der Tatsachen zu beschränken. So
wollen wir auch bei der weiteren Darstellung der über den General
hereingebrochenen Katastrophe verfahren; denn trotz alles Widerstrebens
sehen wir uns entschieden in die Notwendigkeit versetzt, auch dieser
Nebenfigur unserer Erzählung etwas mehr Aufmerksamkeit und Platz
zuzugestehen, als wir bisher beabsichtigten.
Die Ereignisse waren einander in nachstehender Ordnung gefolgt.
Als Lebedjew von seiner Fahrt nach Petersburg, bei der er
Nachforschungen nach Ferdyschtschenko hatte anstellen wollen, noch an
demselben Tag mit dem General zusammen zurückgekehrt war, da hatte er
dem Fürsten nichts Besonderes mitgeteilt. Wäre der Fürst in jener Zeit
nicht durch andere für ihn sehr wichtige Dinge abgelenkt und in
Anspruch genommen worden, so hätte er bald bemerken müssen, daß auch an
den beiden darauffolgenden Tagen Lebedjew ihm nicht nur keine
Aufklärungen gab, sondern sogar im Gegenteil aus irgendeinem Grund
einem Zusammentreffen mit ihm aus dem Weg ging. Als der Fürst
schließlich doch darauf aufmerksam wurde, wunderte er sich darüber, daß
an diesen beiden Tagen bei zufälligen Begegnungen Lebedjew, wie er sich
erinnerte, stets in der heitersten Stimmung und fast immer mit dem
General zusammen gewesen war. Die beiden Freunde trennten sich keine
Minute mehr. Der Fürst hörte mitunter lautes, eifriges Gespräch, das zu
ihm von oben herunterklang, und lachendes, munteres Disputieren; einmal
sehr spät abends schlugen sogar plötzlich und unerwartet die Töne eines
soldatischen Trinkliedes an sein Ohr, und er erkannte sofort die
heisere Baßstimme des Generals. Aber das angestimmte Lied kam nicht
recht in Gang und verstummte plötzlich wieder. Dann setzte sich
ungefähr noch eine Stunde lang ein sehr lebhaftes Gespräch fort; nach
allen Anzeichen zu urteilen, waren die Redenden bereits betrunken. Man
konnte erraten, daß die beiden Freunde, die sich da oben vergnügten,
einander umarmten und schließlich einer von ihnen zu weinen anfing.
Dann folgte auf einmal ein heftiger Streit, der ebenfalls bald wieder
verstummte. Diese ganzen Tage über befand sich Kolja in besonders
sorgenvoller Stimmung. Der Fürst war größtenteils nicht zu Hause und
kehrte manchmal erst sehr spät zurück; dann wurde ihm immer gemeldet,
Kolja habe ihn den ganzen Tag gesucht und nach ihm gefragt. Aber bei
Begegnungen vermochte Kolja nichts Besonderes zu sagen, außer daß er
mit dem General und dessen jetziger Aufführung sehr unzufrieden sei:
»sie treiben sich herum, betrinken sich nicht weit von hier in einer
Schenke, umarmen und zanken sich auf der Straße, ärgern sich
wechselseitig und können sich doch nicht voneinander trennen.« Als der
Fürst ihm erwiderte, daß das auch früher fast täglich dieselbe
Geschichte gewesen sei, wußte Kolja nicht, was er darauf antworten und
wie er erklären solle, weswegen er sich eigentlich jetzt so beunruhige.
An dem Morgen nach dem Trinklied und dem Streit wollte der Fürst
gegen elf Uhr gerade ausgehen, als plötzlich der General in großer
Aufregung bei ihm erschien.
»Ich habe lange nach einer Gelegenheit gesucht, wo ich die Ehre
haben könnte, Sie zu sprechen, hochverehrter Ljow Nikolajewitsch, schon
lange, sehr lange«, murmelte er und drückte dem Fürsten so kräftig die
Hand, daß es diesem beinah weh tat. »Schon sehr, sehr lange.«
Der Fürst bat ihn, Platz zu nehmen.
»Nein, ich wollte mich nicht hinsetzen; ich halte Sie überdies auf;
ein andermal. Wie es scheint, kann ich bei dieser Gelegenheit Ihnen
auch zu ... der Erfüllung ... Ihrer Herzenswünsche gratulieren.«
»Welcher Herzenswünsche?«
Der Fürst wurde verlegen. Er hatte, wie viele Leute in seiner Lage,
die Vorstellung, daß schlechterdings niemand etwas sehe, errate
Weitere Kostenlose Bücher