Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
wirklich zu. Warja lief aus dem Zimmer. Als
Warja hinausgegangen war, nahm Ganja den Zettel vom Tisch, küßte ihn,
schnalzte mit der Zunge und machte einen kleinen Luftsprung.
Fußnoten
    1 Hauptmann heißt im Russischen Kapitan, was hier zu einer Verwechslung mit dem Namen Kapiton führt. (A.d.Ü.)

III
    Der Skandal mit dem General würde zu jeder andern Zeit spurlos im
Sande verlaufen sein. Es waren auch früher schon bei ihm Fälle von
plötzlicher Störrigkeit derselben Art vorgekommen, jedoch nur recht
selten, da er, im allgemeinen gesagt, ein sehr friedlicher Mensch war
und zur Gutherzigkeit neigte. Er hatte wohl hundertmal den Kampf mit
der Verlotterung aufgenommen, die sich seiner in den letzten Jahren
bemächtigt hatte. Er erinnerte sich dann plötzlich, daß er »der Vater
der Familie« sei, versöhnte sich mit seiner Frau und vergoß aufrichtige
Tränen. Er verehrte Nina Alexandrowna bis zur Vergötterung zum Dank
dafür, daß sie ihm so vieles schweigend verzieh und ihn trotz seines
clownhaften, unwürdigen Benehmens immer noch liebte. Aber dieser
hochherzige Kampf mit der Verlotterung dauerte gewöhnlich nicht lange;
der General war doch eine zu »impulsive« Natur, wenigstens in seiner
Art; er konnte gewöhnlich das ruhige Büßerleben in seiner Familie nicht
ertragen und revoltierte schließlich dagegen; er geriet dann in einen
heftigen Zorn, über den er sich vielleicht selbst im gleichen
Augenblick Vorwürfe machte; aber er konnte es eben nicht aushalten: er
fing Streit an, begann hochmütige, pathetische Reden zu führen,
verlangte seiner Person gegenüber einen maßlosen, ganz unmöglichen
Respekt und verschwand schließlich aus dem Haus, manchmal sogar auf
lange Zeit. In den letzten zwei Jahren hatte er von den Angelegenheiten
seiner Familie nur ganz allgemeine Kenntnis, und nur vom Hörensagen;
sich näher darum zu kümmern, hatte er aufgehört, da er dazu nicht die
geringste Lust verspürte.
    Aber dieses Mal war bei dem Skandal mit dem General etwas Besonderes
hervorgetreten; alle schienen etwas zu wissen, wovon sie sich zu reden
scheuten. Der General war erst drei Tage vorher bei der Familie, das
heißt bei Nina Alexandrowna, »formell« wieder erschienen, aber nicht in
der demütigen, reuigen Stimmung, in der er sich in früheren Fällen
immer »zurückzumelden« pflegte, sondern im Gegenteil in außerordentlich
reizbarer Verfassung. Er war redselig und unruhig, knüpfte mit jedem,
der ihm in den Weg kam, ein eifriges Gespräch an, indem er sich
ordentlich auf die Menschen stürzte, redete aber dabei immer über so
bunte, unerwartete Themata, daß man gar nicht begreifen konnte, was ihn
eigentlich jetzt so aufregte. Zeitweilig war er heiter, meist aber
nachdenklich, ohne daß er übrigens selbst gewußt hätte, worüber er
nachdachte; auf einmal begann er etwas zu erzählen, von Jepantschins,
vom Fürsten, von Lebedjew, brach dann aber plötzlich wieder ab, hörte
gänzlich auf zu reden, antwortete auf weitere Fragen nur mit einem
stumpfsinnigen Lächeln, ohne übrigens zu bemerken, daß er gefragt
wurde, und daß er lächelte. Die letzte Nacht hatte er ächzend und
stöhnend verbracht und seine Frau damit halb totgequält, die ihm die
ganze Nacht über heiße Umschläge gemacht hatte; erst gegen Morgen war
er eingeschlafen, hatte vier Stunden lang geschlafen und war in einem
Anfall von sehr starker, seltsamer Hypochondrie erwacht, die dann dazu
führte, daß er mit Ippolit in Streit geriet und einen »Fluch über
dieses Haus« aussprach. Es war auch aufgefallen, daß er in diesen drei
Tagen beständig ein sehr starkes Ehrgefühl bekundete und infolgedessen
ungewöhnlich empfindlich war.
    Kolja allerdings behauptete der Mutter gegenüber beharrlich, das sei
alles nur Sehnsucht nach Spirituosen und vielleicht nach Lebedjew, mit
dem sich der General in der letzten Zeit außerordentlich angefreundet
hatte. Aber drei Tage vorher hatte er sich mit Lebedjew auf einmal
heftig gezankt und sich in schrecklicher Wut von ihm getrennt; und
sogar mit dem Fürsten hatte es eine Szene gegeben. Kolja hatte den
Fürsten um Aufklärung gebeten und war schließlich auf die Vermutung
gekommen, daß auch dieser ihm irgend etwas nicht sagen wolle. Wenn
wirklich, wie Ganja mit größter Bestimmtheit annahm, ein besonderes
Gespräch zwischen Ippolit und Nina Alexandrowna stattgefunden hatte, so
war es doch merkwürdig, daß dieser boshafte Herr, den Ganja so geradezu
eine Klatschschwester nannte, kein Vergnügen

Weitere Kostenlose Bücher