Der Idiot
vielgestaltiger Weg bevor; ich sage nicht, ein
heiterer Weg, und freue mich darüber. Zuvörderst aber sage ich Ihnen
voraus, daß Sie eine gewisse Person nicht gewinnen werden ...«
»Nein, das ist unerträglich!« rief Warja. »Sind Sie nun fertig, Sie widerwärtiger Bösewicht?«
Ganja war blaß geworden, zitterte und schwieg. Ippolit blieb stehen,
betrachtete ihn unverwandt und mit Genuß, ließ dann seine Blicke zu
Warja hinübergleiten, lächelte, verbeugte sich und ging, ohne noch
weiter ein Wort hinzuzufügen, hinaus.
Gawrila Ardalionowitsch hätte sich mit Grund über sein Schicksal und
über das Mißlingen seiner Pläne beklagen können. Eine Weile mochte
Warja ihn nicht anreden; ja, sie sah ihn nicht einmal an, als er mit
großen Schritten an ihr vorbeiging; schließlich trat er ans Fenster und
wandte ihr den Rücken. Warja dachte an die russische Redensart vom
Stock mit den zwei Enden. Oben war wieder Lärm zu hören.
»Willst du gehen?« fragte Ganja, der sich zu ihr umwandte, als er
hörte, daß sie sich von ihrem Sitz erhob. »Warte noch einen Augenblick,
und sieh dir einmal dies hier an!«
Er trat zu ihr heran und warf ein kleines, nach Art eines Briefchens zusammengelegtes Zettelchen vor ihr auf den Stuhl.
»O Gott!« rief Warja und schlug die Hände zusammen.
Das Billett enthielt nur wenige Zeilen:
»Gawrila Ardalionowitsch! Da ich mich von Ihrer freundlichen
Gesinnung gegen mich überzeugt habe, so möchte ich Sie in einer für
mich sehr wichtigen Angelegenheit um Ihren Rat fragen. Ich würde Sie
gern morgen sprechen, Punkt sieben Uhr früh, auf der grünen Bank. Das
ist nicht weit von unserem Landhaus. Warwara Ardalionowna, die Sie
unbedingt begleiten soll, kennt diesen Platz ganz genau. A.J.«
»Und dabei soll man auf ihren Charakter Spekulationen gründen!« rief Warwara Ardalionowna, erstaunt die Arme ausbreitend.
Obgleich Ganja in diesem Augenblick die größte Lust hatte, den
Stolzen zu spielen, konnte er doch nicht umhin, sein Triumphgefühl
merken zu lassen, noch dazu nach den soeben vorhergegangenen
demütigenden Prophezeiungen Ippolits. Ein selbstzufriedenes Lächeln
erglänzte unverhohlen auf seinem Gesicht, und auch Warja selbst
strahlte vor Freude.
»Und das schreibt sie gerade an dem Tag, an dem bei ihnen die
Verlobung öffentlich bekanntgegeben wird! Dabei soll einer mit ihrem
Charakter rechnen!«
»Was meinst du, worüber sie morgen mit mir reden will?« fragte Ganja.
»Das ist ganz gleich; die Hauptsache ist, daß sie dich nach sechs
Monaten zum erstenmal wieder zu sehen wünscht. Höre auf mich, Ganja: um
was es sich auch handeln mag, und wie sich die Sache auch wenden mag,
vergiß nicht, daß es für dich wichtig ist! Sehr wichtig! Spiele nicht
wieder den Stolzen, mache nicht wieder Fehler, und hüte dich auch
davor, ängstlich zu werden! Es hat ihr doch unmöglich entgehen können,
zu welchem Zweck ich ein halbes Jahr lang immer hingekommen bin. Und
kannst du dir das vorstellen: kein Wort hat sie mir heute davon gesagt;
nichts hat sie sich merken lassen. Ich bin nämlich heimlich bei ihnen
gewesen; die Alte hat nichts davon gewußt, daß ich da war; sonst hätte
sie mich am Ende weggejagt. Ich habe es um deinetwillen riskiert,
hinzugehen, weil ich durchaus erfahren wollte ...«
Wieder erscholl von oben Geschrei und Lärm; mehrere Personen kamen die Treppe herunter.
»Wir dürfen das jetzt um keinen Preis zulassen!« rief Warja hastig
und ängstlich. »Es darf auch nicht die Spur von Skandal vorkommen! Geh
hin und bitte um Verzeihung!«
Aber das Oberhaupt der Familie war schon auf der Straße. Kolja, der
die Reisetasche trug, hinter ihm. Nina Alexandrowna stand auf der
Freitreppe und weinte; sie wollte ihm nachlaufen; aber Ptizyn hielt sie
zurück.
»Sie fachen seinen Zorn dadurch nur noch mehr an«, sagte er zu ihr.
»Er kann ja nirgends hingehen; in einer halben Stunde wird er wieder
hierher zurückgebracht werden; ich habe schon mit Kolja darüber
gesprochen; lassen Sie ihn nur seine Dummheit begehen!«
»Was machen Sie denn für Streiche? Wo wollen Sie denn hin?« rief Ganja aus dem Fenster. »Sie können ja nirgends hingehen!«
»Kommen Sie wieder zurück, Papa!« rief Warja. »Die Nachbarn werden aufmerksam.«
Der General blieb stehen, wandte sich um, streckte den Arm aus und schrie:
»Mein Fluch komme über dieses Haus!«
»Anders als in diesem Theaterton kann er gar nicht reden!« murmelte Ganja und schlug das Fenster zu.
Die Nachbarn hörten
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