Der Idiot
oder
verstehe.
»Seien Sie ganz beruhigt, seien Sie ganz beruhigt! Ich werde Ihre
zarten Gefühle nicht verletzen. Ich habe das selbst durchgemacht und
weiß selbst, wie es ist, wenn ein Fremder ... wie man zu sagen pflegt
... seine Nase ... nach dem üblichen Ausdruck ... da hineinsteckt, wo
es nicht gewünscht wird. Ich mache diese Erfahrung jeden Morgen. Ich
bin in einer andern, wichtigen Angelegenheit gekommen. In einer sehr
wichtigen Angelegenheit, Fürst.«
Der Fürst bat ihn noch einmal, sich zu setzen, und setzte sich selbst.
»Nun, dann nur für eine Sekunde ... Ich bin gekommen, um Sie um Rat
zu fragen. Ich habe jetzt bekanntlich keine praktische Tätigkeit; aber
da ich mich selbst sowie meine den Russen im allgemeinen fehlende
Geschäftsgewandtheit wohl zu schätzen weiß ..., so möchte ich mich und
meine Frau und meine Kinder in die Lage bringen ... kurz gesagt, Fürst,
ich möchte gern einen guten Rat haben.«
Der Fürst spendete seiner Absicht warmes Lob.
»Na, das ist alles von mir nur dummes Zeug«, unterbrach ihn der
General, »und, was die Hauptsache ist, ich will gar nicht davon,
sondern von etwas anderem, Wichtigem reden. Und ich habe mich
entschlossen, es gerade Ihnen auseinanderzusetzen, Ljow Nikolajewitsch,
von dessen Aufrichtigkeit und Edelsinn ich ebenso überzeugt bin wie ...
wie ... Sie wundern sich doch nicht über meine Worte, Fürst?«
Der Fürst betrachtete seinen Gast, wenn nicht mit besonderer
Verwunderung, so doch mit großer Aufmerksamkeit und Neugier. Der Alte
war etwas blaß; seine Lippen zuckten mitunter leicht; seine Hände
schienen keinen Ruhepunkt finden zu können. Er saß erst einige Minuten
und hatte sich während dieser Zeit bereits ein paarmal ohne Anlaß vom
Stuhl erhoben und wieder hingesetzt, offenbar ohne diesen seinen
Bewegungen die geringste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auf dem Tisch lagen
Bücher; er nahm eines derselben in die Höhe, warf, ohne sich im Reden
zu unterbrechen, einen Blick auf eine Seite, die er aufgeschlagen
hatte, klappte es sofort wieder zu und legte es auf den Tisch zurück,
ergriff ein anderes Buch, das er gar nicht mehr aufschlug, sondern die
ganze übrige Zeit in der rechten Hand behielt, wobei er es unaufhörlich
in der Luft umherschwenkte.
»Genug!« rief er plötzlich. »Ich sehe, daß ich Sie arg belästige.«
»Aber durchaus nicht, ich bitte Sie, tun Sie mir den Gefallen; im Gegenteil, ich bin ganz Ohr und würde gern erfahren ...«
»Fürst, ich möchte mich in eine geachtete Position bringen ... ich möchte gern mich selbst und ... meine Rechte achten können.«
»Wer einen solchen Wunsch hegt, verdient schon dafür alle Hochachtung.«
Der Fürst sagte diesen Satz, einen Satz von der Art, wie sie in den
Schönschreibeheften als Vorschrift dienen, in der festen Überzeugung,
daß derselbe eine gute Wirkung tun werde. Er hatte das instinktive
Gefühl, daß man durch eine derartige hohle, aber schönklingende Phrase,
wenn sie zur rechten Zeit ausgesprochen werde, das Herz eines solchen
Menschen, wie der General einer war, gewinnen und besänftigen könne,
namentlich wenn der Betreffende sich in solcher Lage befinde wie der
General. Jedenfalls mußte er bewirken, daß ein solcher Gast sich beim
Weggehen leichter ums Herz fühle; das war die Aufgabe.
Die Redensart schmeichelte, rührte und gefiel sehr; der General
änderte sofort seinen Ton, zeigte eine tiefere Empfindung und erging
sich in langen, begeisterten Auseinandersetzungen. Aber wie sehr sich
der Fürst auch beim Zuhören anstrengte, er konnte buchstäblich nichts
verstehen. Der General redete etwa zehn Minuten lang eifrig und
schnell, wie wenn er gar nicht imstande wäre, die sich massenhaft in
seinem Kopf drängenden Gedanken zu bewältigen; gegen Ende blitzten
sogar Tränen in seinen Augen; aber doch waren es nur Phrasen ohne
Anfang und Ende, zusammenhanglose Worte und zusammenhanglose Gedanken,
die rasch und in bunter Folge hervorstürzten und übereinander
wegsprangen.
»Genug! Sie haben mich verstanden, und ich bin beruhigt«, schloß er
plötzlich und stand auf. »Ein Herz wie das Ihrige muß einen Leidenden
verstehen. Fürst, Sie sind von einem idealen Edelsinn! Was sind alle
andern gegen Sie? Aber Sie sind noch jung, und so erteile ich Ihnen
meinen Segen. Also zum Schluß: ich bin gekommen, um Sie zu bitten, mir
eine Stunde für eine wichtige Unterredung zu bestimmen; auf diese
Unterredung setze ich meine größte Hoffnung. Was ich suche, ist nur
Freundschaft
Weitere Kostenlose Bücher