Der Idiot
sind hungrig.«
»Auch das«, erwiderte die Generalin. »Kommen Sie, Fürst; haben Sie großen Hunger?«
»Ja, ich habe jetzt allerdings großen Hunger und sage Ihnen meinen besten Dank.«
»Das ist sehr nett, daß Sie so höflich sind, und ich finde, daß Sie
überhaupt nicht so ein ... Sonderling sind, wie man Sie uns geschildert
hat. Kommen Sie! Setzen Sie sich hierher, mir gegenüber!« sagte sie,
als sie ins Eßzimmer gekommen waren, geschäftig und nötigte den Fürsten
zum Sitzen, »ich möchte Sie gern ansehen können. Alexandra, Adelaida,
sorgt ihr beide für den Fürsten! Nicht wahr, er ist gar nicht so ...
krank? Vielleicht ist auch die Vorsichtsmaßregel mit der Serviette
nicht nötig ... Hat man Ihnen beim Essen eine Serviette umgebunden,
Fürst?«
»Früher, als ich etwa sieben Jahre alt war, hat man das wohl getan;
aber jetzt lege ich mir die Serviette gewöhnlich auf die Knie, wenn ich
esse.«
»So ist das auch in der Ordnung. Und Ihre Anfälle?«
»Anfälle?« fragte der Fürst ein wenig verwundert. »Anfälle kommen
jetzt bei mir nur sehr selten vor. Übrigens, ich weiß nicht, es wird
mir gesagt, das hiesige Klima werde mir schädlich sein.«
»Er spricht gut«, bemerkte die Generalin, zu ihren Töchtern
gewendet; sie nickte immer noch zu jedem Wort des Fürsten mit dem Kopf,
»ich hatte das gar nicht erwartet. Es war also wie gewöhnlich nur
dummes Zeug und Unwahrheit. Essen Sie, Fürst, und erzählen Sie, wo Sie
geboren und wo Sie erzogen sind! Ich möchte alles wissen; Sie
interessieren mich ganz außerordentlich.«
Der Fürst bedankte sich, und während er mit großem Appetit aß,
begann er von neuem all das mitzuteilen, wovon er an diesem Morgen
schon mehrmals zu reden Anlaß gehabt hatte. Die Generalin zeigte sich
immer mehr befriedigt. Auch die jungen Damen hörten recht aufmerksam
zu. Man suchte die Verwandtschaft festzustellen, wobei sich
herausstellte, daß der Fürst seinen Stammbaum ziemlich gut im Kopf
hatte; aber trotz aller Bemühung wollte sich zwischen ihm und der
Generalin keinerlei Verwandtschaft ergeben. Nur zwischen den
beiderseitigen Großvätern und Großmüttern hätte sich allenfalls eine
entfernte Verwandtschaft annehmen lassen. Dieser trockene
Gesprächsstoff gefiel der Generalin ganz ausnehmend, da sie fast nie
Gelegenheit hatte, von ihrem Stammbaum zu sprechen, obwohl sie es sehr
gern tat, und als sie vom Tisch aufstand, befand sie sich infolgedessen
in angeregter Stimmung.
»Wir wollen alle in unser sogenanntes Klublokal gehen«, sagte sie,
»und auch der Kaffee soll dorthin gebracht werden.« »Wir haben ein
solches gemeinsames Zimmer«, wandte sie sich an den Fürsten, den sie
führte, »es ist ganz einfach mein kleiner Salon, wo wir, wenn kein
Besuch da ist, uns zusammenfinden und eine jede von uns sich in ihrer
Weise beschäftigt: Alexandra hier, meine älteste Tochter, spielt
Klavier oder liest oder stickt; Adelaida malt Landschaften und Porträts
(sie wird nur leider mit nichts fertig), und Aglaja sitzt da und tut
nichts. Mir geht die Arbeit ebenfalls nicht vonstatten; es kommt nichts
Ordentliches dabei heraus. Nun, sehen Sie, da sind wir; setzen Sie sich
hierher, Fürst, an den Kamin, und erzählen Sie! Ich möchte gern wissen,
wie Sie zu erzählen verstehen. Ich möchte ganz genaue Kenntnis von
allem erlangen, und wenn ich dann mit der alten Fürstin Bjelokonskaja
zusammenkomme, will ich ihr viel von Ihnen erzählen. Ich möchte, daß
alle Leute ebenfalls für Sie Interesse gewinnen. Nun also, reden Sie!«
»Aber Mama, es ist doch sehr sonderbar, so auf Befehl erzählen zu
müssen«, bemerkte Adelaida, die unterdessen ihre Staffelei
zurechtgerückt, Pinsel und Palette zur Hand genommen hatte und nun
anfing, eine schon vor längerer Zeit begonnene Landschaft nach einem
Kupferstich zu kopieren. Alexandra und Aglaja setzten sich
nebeneinander auf ein kleines Sofa, legten die Hände zusammen und
machten sich bereit, das Gespräch mitanzuhören. Der Fürst nahm wahr,
daß sich von allen Seiten eine gespannte Aufmerksamkeit auf ihn
richtete.
»Ich würde nichts erzählen, wenn es mir in solcher Weise befohlen würde«, bemerkte Aglaja.
»Warum denn? Was ist denn dabei weiter sonderbar? Warum soll er
nicht erzählen? Wozu hat er denn seine Zunge? Ich will wissen, wie er
zu reden versteht. Sprechen Sie also, worüber Sie wollen! Erzählen Sie,
wie Ihnen die Schweiz gefallen hat, welches der erste Eindruck gewesen
ist! Ihr werdet sehen, er wird unverzüglich
Weitere Kostenlose Bücher