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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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anfangen und sehr hübsch
erzählen.«
    »Der erste Eindruck war ein sehr starker ...«, begann der Fürst.
    »Seht ihr wohl?« unterbrach ihn die ungeduldige Lisaweta Prokofjewna, zu ihren Töchtern gewendet, »er hat schon angefangen.«
    »Lassen Sie ihn doch wenigstens sprechen, Mama!« schalt Alexandra.
»Dieser Fürst ist vielleicht ein arger Schelm und ganz und gar kein
Idiot«, flüsterte sie ihrer Schwester Aglaja zu.
    »Höchstwahrscheinlich verhält es sich so; ich merke das schon
lange«, versetzte Aglaja. »Es ist häßlich von ihm, uns so eine Rolle
vorzuspielen. Was hat er dabei für einen Zweck? Hofft er etwa, dadurch
in unseren Augen zu gewinnen?«
    »Der erste Eindruck war ein sehr starker«, sagte der Fürst noch
einmal. »Als man mich aus Rußland wegbrachte und wir durch verschiedene
deutsche Städte fuhren, blickte ich alles nur schweigend an und
erkundigte mich, soviel ich mich erinnern kann, nach nichts. Das war
nach einer Reihe starker, qualvoller Anfälle meiner Krankheit; jedesmal
aber, wenn die Krankheit sich in dieser Weise steigerte und die Anfälle
mehrmals hintereinander erfolgten, verfiel ich in vollständigen
Stumpfsinn, verlor gänzlich das Gedächtnis, und wenn auch der Verstand
noch weiterarbeitete, so war doch die logische Aufeinanderfolge der
Gedanken anscheinend unterbrochen. Mehr als zwei oder drei Gedanken
vermochte ich nicht folgerichtig miteinander zu verknüpfen. So ist mir
das in der Erinnerung. Wenn aber dann die Anfälle nachließen, wurde ich
wieder gesund und kräftig wie jetzt. Ich weiß noch, daß die
Traurigkeit, die mich erfüllte, ganz unerträglich war; ich hätte am
liebsten losgeweint; ich befand mich dauernd in größter Erregung und
Unruhe. Einen furchtbaren Eindruck machte es auf mich, daß dies alles
mir fremd war; denn soviel begriff ich. Das Fremde drückte mich
nieder. Aber (daran erinnere ich mich aufs deutlichste) ich erwachte
völlig aus dieser geistigen Umnachtung eines Abends in Basel bei der
Ankunft in der Schweiz, und was mich erweckte, das war das Geschrei
eines Esels auf dem Marktplatz. Dieser Esel war für mich eine
großartige Überraschung und gefiel mir aus nicht recht verständlichem
Grunde außerordentlich, und gleichzeitig wurde in meinem Kopf gleichsam
alles auf einmal wieder hell.«
    »Ein Esel? Das ist sonderbar!« bemerkte die Generalin. »Übrigens,
eigentlich ist dabei nichts Sonderbares; die eine oder die andere von
uns wird sich noch in einen Esel verlieben«, fügte sie hinzu und
blickte die lachenden Mädchen zornig an. »Das ist alles schon in der
Mythologie vorgekommen. Fahren Sie fort, Fürst!«
    »Seitdem liebe ich die Esel sehr. Ich habe sogar eine gewisse
Sympathie mit ihnen. Ich begann, mich nach ihnen zu erkundigen (denn
ich hatte früher noch nie welche gesehen), und überzeugte mich auch
alsbald selbst davon, daß sie höchst nützliche, arbeitsame, kräftige,
geduldige, billig zu unterhaltende, ausdauernde Tiere sind, und infolge
dieses Esels fing mir auf einmal die ganze Schweiz zu gefallen an, so
daß meine frühere Traurigkeit vollständig verschwand.«
    »Das alles ist ja sehr seltsam; aber das von dem Esel konnte auch
wegbleiben; gehen wir nun zu einem anderen Thema über! Warum lachst du
denn fortwährend, Aglaja? Und du, Adelaida? Der Fürst hat die
Geschichte von dem Esel sehr schön erzählt. Er hat selbst einen
gesehen; aber du, was hast du gesehen? Du bist doch nicht im Ausland
gewesen.«
    »Ich habe schon einen Esel gesehen, Mama«, versetzte Adelaida.
    »Und ich habe schon einen gehört«, fügte Aglaja hinzu. Alle drei
brachen wieder in ein Gelächter aus, in das der Fürst einstimmte.
    »Das ist sehr häßlich von euch«, schalt die Generalin. »Nehmen Sie
es ihnen nicht übel, Fürst; sie sind sonst gute Mädchen. Ich zanke
fortwährend mit ihnen, habe sie aber doch sehr lieb. Sie sind nur
flatterhaft, leichtsinnig und ein bißchen verdreht.«
    »Aber was sollte ich denn übelnehmen?« erwiderte der Fürst lachend.
»Auch ich hätte die Gelegenheit zu lachen nicht unbenutzt gelassen.
Aber ich trete trotzdem für den Esel ein: der Esel ist ein gutherziges,
nützliches Geschöpf.«
    »Sind Sie denn auch gutherzig, Fürst? Ich frage aus wirklichem Interesse«, fragte die Generalin.
    Alle lachten wieder los.
    »Da ist Ihnen wieder dieser nichtswürdige Esel eingefallen; ich
hatte gar nicht an ihn gedacht!« rief die Generalin. »Bitte, glauben
Sie mir, Fürst, ich beabsichtigte keinerlei ...«
    »Keinerlei

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